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Wien - An den Auseinandersetzungen um einen möglichen Irak-Krieg scheiden sich die Geister. Bemerkenswert ist allerdings, wie wenig über das Herrschaftssystem im Irak gesprochen wird. Vor der massiven Kritik am Kriegs-Kurs der USA verblasst Kritik am Baath-Regime unter Saddam Hussein, auch wenn von einer Diktatur gesprochen wird. Fundierte deutschsprachige Analysen des Irak sowie seiner wechselhaften Position in den internationalen Beziehungen waren bisher kaum zu finden. Der Sammelband "Saddam Husseins letztes Gefecht?" (Konkret-Verlag) versucht diese Lücke zumindest zu verkleinern.

"Nicht mehr als ein Name und eine Flagge"

Um es vorwegzunehmen: Das Ziel der Bush-Administration, im Irak einen Regimewechsel herbeizuführen, wird von den Autoren begrüßt, allesamt ausgewiesene Kenner des Irak. Zunächst widmen sich Peter Slugett, er lehrt Geschichte des Mittleren Ostens an der Universität in Utah, und der Politologe Arras Fatah den historischen Grundlagen des postkolonialen Irak. 1921 gegründet, war das (post)koloniale Gebilde nicht mehr als "ein Name und eine Flagge", wie der erste König des Staates, König Faisal I. aus der Haschemiten-Dynastie, meinte. Das Land verfügte weder über eine territoriale Tradition noch gab es eine irakische Nation.

Die höchst inhomogene und durch vielerlei regionale, lokale, religiöse und ethnische Loyalitäten unterschiedene Bevölkerung des Landes unter eine Zentralherrschaft zu zwingen, war der kolonialen Verwaltung auf Grund ihrer inneren Schwäche nicht gelungen. Dieses Manko des Kolonialismus wurde zur zentralen Triebfeder für Aufstieg und Herrschaft der Baath-Partei. Sie versuchte die Leere von Staat und Nation mit irakischem Patriotismus und panarabischen Antikolonialismus zu füllen.

Husseins Krieg gegen die Bevölkerung

Wie Arras Fatah zeigt, erklärt diese Konstellation aber gerade die herausragende Bedeutung der Idee der nationalen Einheit für das Baath-Regime. Sie ist sozusagen die Bedingung der Möglichkeit einer künftig geeinten arabischen Nation; ihre Herstellung wird als revolutionärer Prozess verstanden, in dem jegliche Heterogenität im Inneren ausgelöscht werden soll. Die führende Rolle in diesem Prozess übernimmt die Partei, in ihr der Führer der Partei. "Die Revolution bestimmt selbst, wer ihre Feinde sind" (Saddam Hussein).

Von einem friedlichen Zustand im Irak zu sprechen, der bedroht sei durch einen Krieg von außen, lehnen die Autoren daher ab. Ihrer Einschätzung nach befindet sich das irakische Regime in einem ständigen Kriegszustand mit realen oder erfundenen Feinden von außen, der - abgesehen vom Krieg mit dem Iran und der Besetzung Kuwaits - in der Regel als Krieg gegen die eigene Bevölkerung statt findet. Die Systematik der Gewalt und ihre zentrale Rolle im öffentlichen Leben unterscheiden den Autoren zu Folge den Irak sehr wohl von anderen autoritären Regimes in der Region.

Baathismus - Terror als Selbstzweck

Thomas van der Osten-Sacken und Thomas Uwer, beide Mitarbeiter einer im kurdischen Nordirak tätigen entwicklungspolitischen Organisation, bieten in ihrem Beitrag einen guten Einblick in die ideologische Konstruktion dieses Terrors. Selbstredend spielen dabei "Zionismus" und "Imperialismus" eine zentrale Rolle. "Imperialismus" werde dabei nicht als sozio-ökonomische Analyse internationaler Abhängigkeiten begriffen, erklären die Autoren, sondern stehe im Baathistischen Weltbild für eine abstrakte Bedrohung der Araber von außen. Von innen her sieht das Regime den "Zionismus" am Werk.

Im Baathismus ist den Autoren zu Folge ein kausaler Zusammenhang in der Verfolgungspraxis nicht mehr erkennbar. Der Terror ist Selbstzweck. Das ganze Ausmaß etwa der sogenannten "Anfal"-Kampagnen gegen die Kurden und Schiiten wurden erst in den letzten Jahren bekannt. Khaled Salih und Bachtiar Mohammed fassen den Stand der Kenntnisse dazu zusammen.

Der Blick auf die Entstehung des totalitären Staates im heutigen Irak ist zugleich ein Ausblick auf die Konflikte, die in einem künftigen Irak ohne Saddam Hussein, erbitterter Feind des Westens und dessen Zögling zugleich, zu erwarten sind. Den Herausgebern ist jedenfalls ein verdienstvolles Buch gelungen, das sich kenntnisreich von den marktschreierischen Meinungen der Kriegstreiber und auch der Friedensapostel absetzt. (APA)