Babett Arens und Helmut Berger in Oedoen von Horvath's 'Don Juan kommt aus dem Krieg'.

VOLKSTHEATER/MARTIN VUKOVITS
VOLKSTHEATER/MARTIN VUKOVITS

Ausgerechnet mit Horváths gespensterhaftem "Don Juan kommt aus dem Krieg" gelingt dem Wiener Volkstheater eine Art von Befreiungsschlag: Emmy Werner inszenierte eine Meditation über die Macht des Begehrens in einem Raum emotionaler Leere.


Wien - Freundlich gesprochen: Er hat es auch nicht gewusst. Folgt man nämlich Ödön von Horváths einleitenden Ausführungen zu seinem Don Juan kommt aus dem Krieg, geschrieben 1936, so sucht der ewige Verführer in den Frauen, und vornehmlich durch sie hindurch, dasjenige, was er - vor der Zäsur des "großen Krieges" 1914-18 - schon einmal gehabt hat. Es handelt sich hierbei um das Glück in den Armen der einzig Angebeteten, das er flatterhaft mit Füßen getreten haben soll.

So gewahrt man nicht ohne Ergriffenheit den Schauspieler Helmut Berger als Don Juan, der im Wiener Volkstheater an seinen Schuhabsätzen offenbar lehmige Kotbrocken aus den Schlachtfeldern von Gorlice kleben hat, die ihn pfundsschwer gegen den Erdmittelpunkt hinabziehen.

So schwerfällig und absehbar wundgeschossen wälzt sich dieses verstörte Menschenverführungskind über die ausgeräumte Bühne der Architektin Elsa Prochazka, dass man rechtens argwöhnt: Dieses Bild von Mann schwankt durch ein Nichts von Traum. Und dazwischen singt und webt und flattert eine zerschossene Seelenwundmusik, verdichtet sich zwischen Abblenden zu einem fuchsteufelswindigen Fauchen und Beißen - und lässt diesen wehen, welken Casanova der Inflationszeit im Soldatenleinenmantel schließlich über dem Grabgestell der toten Geliebten zusammensinken.

Die Mitte ist leer

Das Grab, augenzwinkert Regisseurin Emmy Werner, muss leer sein. Diese Mitte ist der Raum, durch den das fatale Begehren, diese wehleidige Wechselfolge von Absichtserklärungen und Täuschungsmanövern im kahlen Umraum vulgärer Kriegsgewinnlerinnen und sentimentaler Groschenromanweiber hindurch muss. In Wahrheit ist Don Juan selbst nur das Nadelöhr. Eine jede, die durch ihn durch will, ist das Kamel. (Darum ist Ödön von Horváth der größte Komödiendichter nicht nur seiner Zeit.) Er liebt sie alle. Doch in Wahrheit: verkennt er sie.

Die begehrliche Schar der 35 Damen, zusammengeschmolzen auf elf unterschiedlich erblühende Schauspielerinnen, umstellt den Träumenden, der am Ende so klug und befriedigt ist als wie zuvor. Auf einem weißen Rundhorizont erblühen krumme Federstriche wie eine schwer zu entziffernde Liebeskalligrafie. Stehen angedeutete Möbel in gusseisernen Umrissen, wie von Giacometti zurechtgebogen. Und immerzu ist diesem Juan gleichermaßen zum Träumen wie zum Weinen zumute, schlägt er den Bogen seiner strauchelnden Sätze in die ganz tiefe Grube - eines Nichts, das zugleich alles enthält, weil es die Masse ist, aus dem die Vorstellungskraft die Objekte der Begierde nach Maßgabe von Stimmungen knetet.

Lange, lange nicht mehr hat man im Volkstheater einen derart riskanten Mut zur formalen Gestaltung erblickt: ein keusches, wunderliches Konzept ausgerechnet vom Regiepult der amtierenden Frau Direktor, die, schwer verständlich, dafür auch noch etliche Buhrufe einstecken musste.

Am anderen Ende der Skala stehen freilich die krass unterschiedlichen Möglichkeiten eines bunt durcheinandergewürfelten Damenensembles. Gabriele Schuchter beispielsweise flüchtet als Soubrette und standbildhaft verhüllte Geliebte ins schwerzüngige Gemütswienertum. Babett Arens kultiviert als verarmte Zimmervermieterin eine nasale Aristokratie des Herzens, die um die Bedingungen einer menschenmöglichen Emanzipiertheit weiß - und als Verführungsspielerin ihrer eigenen Gefühligkeit morsch und sehr matsch leidet.

Mit beachtlichen Leistungen in Horváths zauberisch belebten, dabei vor der Zeit moderig gewordenen Backfischfiguren warten Sandra Knoll und Jaschka Lämmert auf. Ein todtrauriger Liebestraum. Keine ganz gleichmäßige Leistung - doch das Beste, was zurzeit am Weghuberpark zu bewundern ist. (DER STANDARD, Printausgabe, 25.02.2003)