Thomas Haemmerli lacht über seine Mutter.

Foto: Filmladen

Wien - Umwege zu seinem Sujet nimmt dieser Film keine, vielleicht fehlt ihm deshalb jegliche Distanz, schon von den ersten Bildern an. Die Videokamera ist auf bräunliche Schlieren am Boden gerichtet, und bevor man richtig zu überlegen beginnt, worum es sich dabei eigentlich handelt, verrät es einem der Off-Kommentar: Es sind die Überreste eines Menschen, der Mutter des Regisseurs, die wochenlang in ihrer Wohnung verweste, bevor man ihre Leiche fand.

Sieben Mulden und eine Leiche, der Dokumentarfilm des Schweizers Thomas Haemmerli, rüttelt an einem Tabu. Wie kann es sein, dass ein Sohn den kläglichen Tod seiner Mutter zum Gegenstand eines Films macht und dabei jegliche Form von Pietät vermissen lässt? Wie kann es sein, dass der psychisch höchst labile Zustand einer vereinsamten Frau geradezu höhnisches Gelächter heraufbeschwört?

Der Film liefert auf diese Fragen nur bedingt Antworten. Haemmerli richtet seinen Blick auf das, was seine Mutter hinterlassen hat - und das ist zuallererst eine Wohnung, die aus allen Nähten platzt. Über Jahrzehnte hinweg häufte die Verstorbene hier Dinge an, von denen sie sich nicht trennen konnte, weil sie in ihnen noch irgendeinen Wert sah. Haemmerlis Mutter litt unter dem Messie-Syndrom, einer zwanghaften Sucht des Aufbewahrens, über die Betroffene allmählich jegliche Kontrolle verlieren.

Falscher Verdacht

Für den Filmemacher und seinen Bruder Erik ist die Krankheit vor allem ein willkommener Anlass zu Scherzen. Humor mag in dieser misslichen Lage zwar ein Mittel sein, der Überwältigung Herr zu werden. Doch die Haemmerlis agieren zu kaltschnäuzig, als dass dieser Verdacht begründet erschiene. Gnadenlos wird beispielsweise die mütterliche Liebe zu Tieren - in ihrem griechischen Sommerhäuschen lebt ein ganzes Rudel Katzen - ausgelacht, begleitet von Zerstörungsritualen, die im schmissigen Stakkatostil montiert sind.

Die Müllhalde, welche die Brüder sukzessive abtragen, verwandelt sich aber auch in einen Hort der Erinnerung. Störrisch rufen Objekte und Fotos die Vergangenheit wach, während Super-8-Filme ausschnitthaft die Familiengeschichte wieder auferstehen lassen. Die deutlichsten Hinweise auf die so energische Abnabelung der Brüder finden sich in diesen Rekonstruktionen:

Es ist die Geschichte einer Ehe, die im mondänen Umfeld des Genfer Diplomatenmilieus begann - ein junger Kofi Annan taucht im Familienalbum als "Der Näger" auf -, aber im finanziellen und menschlichen Ruin endete. Die Last dieser Familienkatastrophe versuchen die Haemmerlis nun endlich abzuschütteln, gleich dem Müll, der in den Mulden landet - ein Exorzismus, bei dem ihnen jede Schamlosigkeit recht ist. (Dominik Kamalzadeh,
DER STANDARD/Printausgabe, 11./12.10.2008)