Christian Engelbrechtsmüller: "Die Finanzmarktkrise nehme ich selbst staunend zur  Kenntnis."

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derStandard.at: Laut einer Studie ist das Finanzrisikomanagement noch vor dem Cash Management oder dem Working Capital Management die von Shareholdern am höchsten eingeschätzte "wertschöpfende Tätigkeit" einer Treasury-Abteilung. Ist diese Entwicklung auch durch die Finanzkrise bedingt?

Engelbrechtsmüller: Wenn man die aktuelle Situation auf den Finanzmärkten betrachtet, dann ist das Finanzrisikomanagement eine Top-Agenda. Mittlerweile geht das so weit, dass sogar die Sichteinlagen nach Geschäftspartnern gegliedert in den Chefetagen analysiert werden, um zu sehen, gegenüber welchen Instituten welche Ausfallsrisiken bestehen. Neben dem Ausfallsrisiko gewinnt natürlich die Steuerung des Liquiditätsrisikos an Bedeutung.

derStandard.at: Ist das auch bei den Betrieben schon angekommen?

Engelbrechtsmüller: Ja, das was wir im internationalen Bereich sehen, das betrifft schrittweise auch Österreich. Die Investitions- und Refinanzierungsmöglichkeiten werden wahrscheinlich zurückgehen.

derStandard.at: Zum Working Capital Management: Eine der wichtigsten "künftigen Herausforderungen" ist Ihrer Ansicht nach die "Bewusstseinsbildung". Wie steht es denn darum in den österreichischen Unternehmen?

Engelbrechtsmüller: Meiner Erfahrung nach ist es so, dass in Österreich viele Unternehmen primär über das Betriebsergebnis gesteuert werden, die Liquidität spielt in der Regel eine nachrangige Rolle gegenüber Umsatz und Ergebnisgrößen. Das im Working Capital gebundene Kapital wird mehr oder weniger zur Kenntnis genommen, wenn die Bilanz vorliegt. Um darin gebundene Liquidität freizusetzen - da sind bis zu 20 Prozent mit annehmbaren Maßnahmen möglich - braucht es eine gewisse Bewusstseinsbildung bei den verantwortlichen Kräften, und entsprechende Zielvereinbarungen um das Arbeitskapital nachhaltig zu reduzieren.

derStandard.at: Gibt es einen bestimmten Typus von Unternehmen, für die das gerade ganz besonders gilt? Etwa jene, die stark international engagiert sind?

Engelbrechtsmüller: Das gilt generell für Unternehmen, die über wesentliche Bestände im Nettoumlaufvermögen verfügen - produzierendes Gewerbe also, KMU genauso wie Großunternehmen. Für jene, die eine gewisse Unabhängigkeit vom Kapitalmarkt anstreben, sich also stark auf Innenfinanzierung verlassen oder über einen eingeschränkten Zugang zum Kapitalmarkt verfügen - für die ist es wichtig, sich auf ihre Innenfinanzierungsmöglichkeiten zu konzentrieren. Und ein Teil davon betrifft das Working Capital Management.

derStandard.at: Gibt es Teilbereiche des Working Capital Managements, wo sich besonders viel "herausholen" lässt?

Engelbrechtsmüller: Das hängt vom Geschäftsmodell ab. Es gilt die drei Bereiche "Purchase-to-pay", also das Lieferantenmanagement, "Order-to-Cash", das ist das Forderungsmanagement, und den Vorratsbereich prozesskettenübergreifend zu optimieren. Ein integriertes Working Capital Management bezieht sämtliche das Working Capital betreffenden Prozesse ein und berücksichtigt anfallende Interdependenzen. Mögliche Schnittstellen ergeben sich zB bei der Festlegung von Liefervereinbarungen mit Kunden, die Auswirkungen auf die Produktionsplanung haben und auf diese Weise über die Materialbedarfsplanung auch auf Liefervereinbarungen mit Lieferanten wirken. Es empfiehlt sich auch Lieferanten nicht zu vergrämen, indem man die Zahlungsziele extrem überzieht. Ein integriertes Working Capital Management muss also weit über eine auf einzelne Prozesse orientierte Optimierung hinausgehen und Lösungen suchen, die eine Verringerung der Kapitalbindung und der Prozesskosten sowie eine Steigerung der Prozessqualität umfassen.

derStandard.at: Wie wichtig ist die richtige Software?

Engelbrechtsmüller: Die IT-Unterstützung ist hilfreich, sofern man über die geeigneten Strukturen und Prozesse verfügt, etwa über einen integrierten Finanz- und Bilanzplanungsprozess mit zeitnahen Soll/Ist-Vergleichen. Ein gut organisiertes Reporting ermöglicht die zeitnahe Überwachung der Kennzahlen - Days Sales Outstanding, Days Inventory Held, Days Payables Outstanding. Die drei Kennzahlen messen die Kapitalbindung in den jeweiligen Prozessketten, die sich auch in der Kennzahl Days Working Capital verbinden lassen.

derStandard.at: Eine Ihrer Studien hat ergeben, dass die Rohstoffrisiko-Strategie in Unternehmen öfter vom Einkauf als vom Treasury umgesetzt wird. Sehen Sie darin ein gewisses Problem?

Engelbrechtsmüller: Das ist traditionellerweise so, dass die Umsetzung dem operativen Bereich obliegt. Aber der Trend in Richtung Treasury nimmt zu. Ein gut ausgebautes Treasury besitzt die Methodenkompetenz, das heißt, der für das Risikomanagement notwendige Regelkreis bestehend aus Risikoidentifikation, Risikobeurteilung, Risikosteuerung und Risikoreporting findet beispielsweise auch im Zins- und Währungsmanagement Anwendung. Die Steuerung im Treasury ermöglicht eine ganzheitliche Erfassung aller Risiken entlang der Wertschöpfungskette. Letztendlich aber ist es immer eine gemeinsame Anstrengung der Beschaffung, des Treasuries und des Risikokomitees bzw. der Geschäftsführung.

derStandard.at: Zur Finanzmarktkrise: Gibt's da eine Empfehlung für Treasury-Abteilungen von Ihnen, oder bemerken Sie vermehrte Anfragen diesbezüglich?

Engelbrechtsmüller: Wir bemerken schon Anfragen in bestimmten Bereichen, da geht es zum Beispiel um die Verringerung von Ausfallsrisiken und die Neuregelung der Beziehungen zu bestimmten Geschäftspartnern - dass etwa zeitnah Anzahlungen oder Barsicherheiten verlangt werden.

Die Finanzmarktkrise nehme ich selbst staunend zur Kenntnis. Besonders in Krisenzeiten bewähren sich wohl überlegte und gut implementierte Finanzrichtlinien mit Risiko- und Limitbegrenzungen. Bei der Bewältigung der Krise gilt es zu unterscheiden, ob man liquide Mittel benötigt oder Mittel zu veranlagen hat. Bei Zweiterem sollte man derzeit eher konservative Wege gehen, zum Beispiel mit Anlagen erster Bonität und die vorhandenen Mittel gut streuen. Auch Finanzierungen sollten gut gestreut werden um Abhängigkeiten zu vermeiden. Die Steigerung der Innenfinanzierungsmöglichkeiten durch eine belastbare Liquiditäts- und Finanzplanung kann ich auch empfehlen. (Martin Putschögl, derStandard.at, 12.10.2008)