Ein "Panzerkreuzer Potemkin"  über das Geld: Eisensteins Film "Das Kapital"  blieb unrealisiert.

Foto: Stadtkino

Wien - Wie lässt sich eine Finanzkrise darstellen? Dass sich diese Frage gar nicht so einfach beantworten lässt, macht der Bankenkrach gerade wieder recht deutlich. In den Medien wiederholen sich ständig die gleichen Bilder: Broker, die aufgeregt die Hände in die Höhe reißen; Aktienkurse, die wie eine negative Fieberkurve nach unten rasen; manchmal auch nur Wolkenkratzer mit Bankenlogos. All das sind aber bloß abstrakte Stellvertreter für einen komplizierten Prozess, der selbst im Reich der Unsichtbarkeit verharrt.

Der russische Filmemacher Sergej Eisenstein war sich dieses Dilemmas bewusst, als er im Jahr 1927 über ein Projekt von immensen Ausmaßen nachzudenken begann: Seinem nächsten Film sollte Das Kapital von Karl Marx als Grundlage dienen. Und nicht nur das: James Joyce' Roman Ulysses würde die formale Methode liefern. Ein Tag im Leben zweier Menschen als ausufernde Gesamtmontage eines Systems - von der Ware bis zum Klassenkampf.

"Die Börse" , notiert Eisenstein in sein Notizbuch, "darf nicht durch eine Börse wiedergegeben werden wie in Mabuse, sondern durch tausende von kleinen Details." Statt bildlicher Abstraktionen sucht der Regisseur konkretes Anschauungsmaterial, das sich erst im Kopf des Betrachters zu einem Denkgebäude zusammenfügen würde. Das Projekt wurde leider nie verwirklicht, da Eisenstein keine Geldgeber finden konnte.

Der deutsche Autor und Filmemacher Alexander Kluge hat sich dieses "imaginären Steinbruchs" der Filmgeschichte in Nachrichten aus der ideologischen Antike, einem insgesamt 580 Minuten langen Filmessay, nochmals angenommen. Im Stile seiner Kulturmagazine auf Sat.1 und RTL schafft er ein enzyklopädisches Konvolut, das Eisensteins Projekt als Ausgangspunkt für eine Auseinandersetzung mit Marxens Ideenwelt begreift.

Das Interesse Kluges richtet sich auf zeitgenössische Lesarten - auf eine Zukunft, die aus verschütteten Vergangenheiten hervorscheint. Die aktuelle Wirtschaftskrise erzeugt zusätzlich Nachhall, wenn er sich mit Intellektuellen wie Hans Magnus Enzensberger über den Schwarzen Freitag von 1939 unterhält und die beiden auf ein aussagekräftiges Bild der Gegenwart zu sprechen kommen: Menschen, die im Zuge der US-Immobilienkrise von den eigenen Häusern - also ihrem Eigentum - davonlaufen. Im Gespräch mit Dietmar Dath, der unlängst den Essay Maschinenwinter über eine "sozialistische Demokratie" veröffentlichte, wird dagegen erörtert, wie sich die Schriften von Marx neu verorten ließen - im Sinne einer Ökonomie, die ihr Vorbild in der Liebe nimmt.

Kluge entwickelt seine Fragestellungen entlang zentraler marxistischer Begriffe (wie etwa Warenfetisch) und variiert dabei fingierte mit dokumentarischen Einschüben, Interviews mit Text- und Bildmontagen. Sein Konzept einer "kugelförmigen" Darstellung, die aus Ungleichzeitigkeiten schöpft, verdankt sich Eisenstein. Das Material sprudelt aus etlichen anderen Quellen: Kluge fängt sie auf seiner Ausgrabungsstätte auf und gießt sie um, bis daraus neue Gedankenbilder entstehen. (Dominik Kamalzadeh / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 10.10.2008)