Schützenhöfer: "Wenn man Regierungsverantwortung trägt, besteht die Gefahr, dass man der realen Welt entrückt."

Foto: Land Steiermark

"Wenn man Regierungsverantwortung trägt, besteht die Gefahr, dass man der realen Welt entrückt". Der steirische ÖVP-Chef Hermann Schützenhöfer übt im derStandard.at-Interview Kritik an der Bundes-ÖVP. Seine Forderung: Die Parteibasis soll in den weiteren Kurs der ÖVP miteinbezogen werden. Ob die Volkspartei eine Koalition bildet oder in Opposition geht, soll nicht mehr nur Sache der ÖVP-Spitze sein. "Wir müssen auf jene Rücksicht nehmen, die uns in politisch schwierigen Zeiten die Treue halten", sagte Schützenhöfer. "Die Partei ist bei der Wahrnehmung der Menschen und deren Lebensgefühl nicht angekommen." Die Fragen stellte Saskia Jungnikl.

derStandard.at: Herr Schützenhöfer, wer ist die "Basis" der ÖVP, und wie soll man sie denn ab jetzt mit einbeziehen?

Schützenhöfer: Die Basis sind die, die bei politischen Anliegen für uns laufen. Die Bürgermeister, Ortsvorsteher, Funktionäre und so weiter. Ich möchte, dass wir diese Menschen ernster nehmen. Und vor allem sollen sie in die Entscheidung miteinbezogen werden, ob die Volkspartei in Opposition gehen soll oder nicht. Darfür, wie das geschehen soll, gibt es verschiedene Möglichkeiten, die konkrete Form muss man sich noch überlegen. Aber man könnte das mittels Abstimmung unter den Mitgliedern machen oder durch eine Befragung der Ortsparteien.

derStandard.at: Hat es da in den vergangenen Jahren Versäumnisse der Partei gegeben?

Schützenhöfer: Mir ist aufgefallen, dass eine große Entfremdung zwischen Bund und Basis stattgefunden hat. Da muss man dagegen steuern, wenn man weiter will, dass die Funktionäre für einen rennen. Das Verhalten gehört geändert. Es entsteht bei der Basis der Eindruck, dass "die da oben" ein bissl abheben und einem die Politik nicht mehr erklären können.

derStandard.at: Warum gibt es diese Entfremdung?

Schützenhöfer: Wenn man Regierungsverantwortung trägt, besteht die Gefahr, dass man der realen Welt entrückt. Die ÖVP hat in den vergangenen Jahren politisch gute Arbeit geleistet – aber nicht bei der Wahrnehmung der Leute. Das muss gestärkt werden, das Vertrauen muss wieder gewonnen werden.

derStandard.at: An dieser "Fehlentwicklung" der vergangenen Jahre war die Parteispitze nicht unbeteiligt – sollte diese Molterer/Schüssel Koalition abtreten?

Schützenhöfer: Ich sehe nicht, warum ein Schüssel oder ein Molterer mit ihrer Erfahrung nicht weiter eine Rolle spielen sollen. Der Obmannwechsel war schon ein Schritt, aber es wäre ein Fehler zu sagen: Jetzt schnell in eine Regierung!

derStandard.at: Würden Sie Opposition oder Regierung bevorzugen?

Schützenhöfer: Wir müssen aufpassen, dass wir uns nicht in den Würgegriff der SPÖ begeben. Natürlich kann man nicht bin zum Sankt Nimmerleins Tag warten, aber man sollte auch nichts überstürzen. Die ÖVP ist nicht die geborene Oppositionspartei, aber es ist durchaus eine Option. Vor allem wenn man in eine Koalition gehen würde, die man der Basis nicht erklären kann bzw. die von der Basis abgelehnt wird. Ich schließe eine SPÖ-ÖVP-Koalition genauso wenig aus, wie eine mit den rechteren Parteien.

derStandard.at: Also FPÖ und BZÖ?

Schützenhöfer: Diese Parteien wurden demokratisch gewählt, und das nicht anzuerkennen, wäre wie den Willen des Wählers nicht anzuerkennen. Ich bin gegen eine Ausgrenzung.

derStandard.at: Gilt das auch für die Grünen?

Schützenhöfer: Ja, natürlich. Allerdings haben die meiner Meinung nach ihre Chance verspielt.

derStandard.at: Glauben Sie, dass Werner Faymann als Chef der SPÖ die Chancen einer Großen Koalition erhöht?

Schützenhöfer: Das hat nichts damit zu tun. Das ist auch nicht unsere Sache. Ich nehme lediglich zur Kenntnis, mit welcher Spitze die andere Partei antritt. (derStandard.at, 2.10.2008)