Musikerin Timna Brauer

Foto: privat

Heuer feiern wir zehn Jahre VOICES FOR PEACE: Ein Jahrzehnt musikalische Zusammenarbeit zwischen Palästinensern und Israelis, zwischen Muslimen, Juden und Christen. Fast jedes Jahr ist es uns gelungen im Nahen Osten und europaweit mit diesen beiden Chören Konzerte zu spielen, und Medienpräsenz zu erhalten. Als Initiatorin und Solistin dieses Projektes sind für mich die bewegenden Momente, die bei den Auftritten entstehen, auch heute genauso intensiv wie beim ersten Mal.

Wenn Muslime mit Inbrunst die heiligsten Gebete des jüdischen Glaubens vortragen und Juden "Allah und die heilige Maria" singend preisen, dann öffnen sich die Herzen. Es verschmelzen für einige Augenblicke jeder Machtkampf, jede Konditionierung und jede Abwehr in puren Silbertönen die aus all diesen Kehlen erklingen. Aus den selben Kehlen, die vielleicht im Alltag zu Unnachgiebigkeit, Vergeltung und heiligen Krieg aufrufen könnten. Deshalb gilt es umso mehr auf der Bühne ganz in den wunderbaren Moment einzutauchen und sich dem Bewusstsein zu öffnen, dass es auch eine andere Wahrheit gibt, eine andere Sehnsucht.

Musik als Bindeglied zwischen drei Religionen

Neben den spannenden musikalischen Austausch bei dem es vor allem darum geht, die vielen Querverbindungen zu zelebrieren, die im Mittelmeerraum zwischen den Kulturen der drei Religionen entstanden sind , gab es bei den Konzerttourneen auch immer wieder die Gelegenheit den "Anderen" persönlich kennen zulernen - mit all seinen Erfahrungen, Nöten, Sorgen und Hoffnungen. Der arabische Chor besteht im Großteil aus christlichen Sängern, die auffällig das Kreuz tragen um sich, wie sie meinen, "von ihren muslimischen Mitbürgern zu unterscheiden". In Israel sind Christen eine Minderheit in der Minderheit. In Ihren Werten und ihrer Erziehung scheint es, als würden sie sich am meisten der westlichen Kultur annähern. So wirken sie oft als Hoffnungsträger, als Bindeglied zwischen Demokratie und Religion.

Langsamer Wandel

Aber obwohl man offen, intelligent und humorvoll über jedes Thema sprechen kann und die Frauen enge Jeans und große Decolltés tragen, ist es noch immer verblüffend zu sehen, wie starr und zäh nach wie vor auch hier das Patriarchat vorherrscht. Es ist zum Beispiel unmöglich, dass ein weibliches Chormitglied alleine mit männlichen Mitgliedern des österreichischen Begleitorchesters einen Kaffee trinkt. Sie muss ständig in Begleitung von ihren männlichen arabischen Kollegen sein, die "ihrem Vater das Wort gegeben haben, dass sie sich ehrenhaft benehmen wird". Es ist auch den arabischen Frauen in diesem Chor nicht gestattet öffentlich zu rauchen, es schickt sich nicht und wäre eine Schande für das ganze Dorf. Es sind sich aber alle völlig bewusst, dass da etwas nicht richtig und zeitgemäß ist, und behaupten, dass auch ihre Traditionen im Wandel sind, wenn auch sehr sehr langsam.

Verblüffend ist auch, dass bei allen die selbe unverblümte Meinung über Mischehen vorherrscht: Wenn es hart auf hart geht, würden sie ihre Tochter eher mit einem Juden als mit einem Muslimen vermählen. Also lieber mit dem "Feind und Besatzer" als mit dem arabischen Bruder. Die Sippengesellschaft birgt aber viele Vorteile in sich, die auch musikalisch wirken: Der arabische Chor klingt wie aus einem Guss, wie aus einer Familie, man spürt und hört eine homogene Tradition. Der jüdische Chor wirkt als Mikrokosmos der ganzen Diaspora: Russen, Amerikaner, Marokkaner, Deutsche, Australier. Gerne singen sie fromme Lieder aber keiner von ihnen glaubt an Gott. Sie sind alle Israelis und doch wissen die meisten nicht "wer sie sind", können sich nicht für eine Sprache entscheiden.

Masken fallen

Schauplatzwechsel: Hospital RamBam in Haifa, das größte medizinische Zentrum im Norden Israels, das auch zu einem großen Teil von der arabischen Bevölkerung frequentiert wird. Fernab vom Glanz und Glamour des Bühnenlebens arbeitet meine Schwester als Krankenschwester in der onkologischen Abteilung und ist täglich auf einer ganz anderen Ebene mit Multikulturalität konfrontiert. In diesen extremen Situationen, in denen es um Leben oder Tod geht, stellt sich nicht mehr die Frage, ob sie jetzt als Frau den orthodoxen Juden oder den frommen Muslimen ausziehen darf oder nicht.

In diesem Stadium des Lebens fallen alle "Masken", alle Schranken der Sitten und Bräuche die uns so sehr von einander trennen. Was sie am meisten an ihrer Arbeit interessiert und wofür leider immer am wenigsten Zeit übrig bleibt, ist der Zwischenmenschliche Kontakt mit den Patienten. Seit 25 Jahren lebt sie nun schon in Israel und hat diese Kultur völlig in sich integriert. Sie ist, wie auch ich, als Tochter einer Jemenitin eher dunkel vom Typ, und sorgt immer für große Überraschung und Freudentränen bei Todkranken deutschsprachiger Herkunft, wenn sie ihnen als Aufheiterung, spontan mit perfekter Wiener Aussprache, Schubertlieder vorsingt. Sie berichtet wehmütig, dass es beim Austausch mit all diesen Patienten immer nur um ein Thema geht: Die Einsamkeit. Die Kinder, die Verwandten, die Freunde melden sich nicht, kommen fast nie zu Besuch. Und je "heller der Teint" umso einsamer sterben sie.

Bei den orthodoxen und den orientalischen jüdischen Israelis, bei den christlichen und muslimischen, arabischen Israelis, scheint auch der Tod ein "Familienhappening" zu sein. Vom ersten bis zu letzten Moment sind sie alle da, ausnahmslos. Wollen den Patienten selber waschen, bringen Speisen von zu Hause mit und weigern sich die Besuchszeiten einzuhalten, auch wenn der Patient im Koma liegt. Hier stellt sich die Frage welchen Preis wir Europäer, für Individualismus und Freiheit zahlen. Gibt es einen dritten Weg? Muss wirklich das Eine das Andere ausschließen? (Timna Brauer, derStandard.at, Oktober 2008)