Jeweils montags und donnerstags eine Stadtgeschichte Thomas Rottenberg

Standard

Es war am Dienstag. Da mailte B., dass er ebenso dankbar wie siegessicher sie. Schließlich sei er Experte - und dass die Kunde vom Wettbewerb bisher gar nicht bis zu ihm durchgedrungen war, ändere daran nichts. Schließlich, mut maßte er, hätten wohl auch nicht all zu viele andere Menschen bisher von der Herausforderung gehört: Die Staatsmeisterschaft im Büroklammernbiegen sei nämlich nicht allzu offensiv beworben worden - und wenn er, B., da nicht im Print-Standard über eine klitzekleine Geschichte gestolpert wäre, hätte er wohl nie die Chance bekommen, das norwegische Büroklammer-Monument zu sehen.

Ich kenne B. nicht. Darum habe ich ihm auch nicht so geantwortet, wie all jenen Bekannten und Freunden, die ihre zweckentfremdeten Büroklammern nun plötzlich auch fotografiert an den Büroartikler „eplus" (bueroklammer@eplusoffice.at) schicken wollen. Denn einfach mit einem zum Häschen gebogenen Drahtding wird der Flug ins Herz der Büroklammerwelt wohl nicht zu gewinnen sein. Abgesehen davon, ...

Aber der Reihe nach.

Übersehen

Denn die Einladung zur „Büroklammer-Challenge" war schon vor Ewigkeiten auf meinem Schreibtisch gelandet. Und - vermutlich - auch auf etwa 100 anderen Redakteursschreibtischen. Aber weil wir die Kleinigkeiten dun Nebensächlichkeiten des Lebens viel zu gering schätzen, ging die Aufforderung des Büroartiklers, doch zu dem zu stehen, was wir in öden, langen Augenblicken mit dem biederen Drahtgeschlinge anstellen, ziemlich sang- und klanglos unter. Einzig die mitgeschickten Büroklammern bekamen ein bisserl Aufmerksamkeit. Weil sie groß und dementsprechend schwer zu verbiegen waren.

Aber als die Erinnerung an den Endspurt der Challenge kam, blödelten wir - und merkten an der Ausführlichkeit, mit der sich immer mehr Leute in die Bestätigung der Irrelevanz des Themas einmischten, dass Büroklammern wohl doch eine wichtigere Rolle im Leben der meisten Menschen einnehmen, als ihnen - den Menschen - selbst bewusst ist. Und als dann C., der Fotograf, erklärte, er habe über Jahre hinweg beobachtet und auch dokumentiert, wie Wolfgang Schüssel die Büroklammerbiegekunst einerseits zur Ablenkung und zur Entspannung einsetzte, sie andererseits aber auch durchaus demonstrativ instrumentalisierte, wenn er zeigen wollte, dass man gerade nicht mit seiner vollen Aufmerksamkeit rechnen dürfe, war die Sache klar: Challenge und Klammer sollten jene Öffentlichkeit bekommen, die ihnen zusteht.

Geschichte

All das wusste B. nicht, als er tags darauf mailte. Aber er dürfte es gespürt haben. Und dass er sich als „Experte" zum Thema bezeichnet, legt nahe, dass er auch über die Geschichte und die Funktion als Symbol des Widerstandes gegen die NS-Okkupation Norwegens bescheid weiß.

Darum konzentrierte sich B. auch nicht darauf, dies zu wiederholen, sonder ließ an dem teilhaben, was nicht ganz so einfach abrufbar ist: Dem geheimen Hintergrundwissen zur Büroklammernutzung nämlich.

Dafür bin ich ihm dankbar. Schon dafür gönne ich ihm die Reise zum sieben Meter hohen Monument bei Oslo. Aber deshalb soll er auch selbst erzählen:

B. schreibt

„Lieber R.

Zuerst muss ich mich bei Ihnen bedanken. Ohne Sie würde ich wohl nicht auf den Wettbewerb aufmerksam und gedenke ihn nun zu gewinnen. Denn wenn es um Büroklammern geht, bin ich sozusagen Experte.

Ich bin Sammler. Wer die Augen offen hält - oder den gewissen Blick hat - findet sie auf der Straße. Und das en gros. Mittlerweile habe ich eine respektable Menge zusammengetragen und kaum 2 Exemplare sind gleich.

In diesem Zusammenhang möchte ich Ihnen ein Gustostück populärer Büroklammernforschung nicht vorenthalten. Hanswilhelm Hafens hat in seinem "Handbuch des Nutzlosen Wissens" eine Studie veröffentlicht, die 1965 in österreichischen Amtsstuben erstellt wurde. Sie betrifft die Zweckentfremdung von Büroklammern.

von 100 000 Exemplaren wurde der Studie zufolge:

20 000 zweckentsprechend verwendet

19 413 als Spielmarkenersatz bei Kartenspielen

15 842 als Schreibmaschinenreiniger

14 163 wurden beim Telefonieren verbogen

13 000 von Kindern verschluckt oder von Reinigungspersonal "bereinigt"

5 434 als Zahnstocher

5 309 als Pfeifenreiniger

3 196 als Nagelreiniger

2 431 als Schraubenzieher

1 112 als Sicherheitsnadeln an Damenstrümpfen

Rund 15 % werden also beim Telefonieren verbogen. Als Kunstwerke können also jene aus diesen 15 000 gelten, die (vom Künstler?) als Kunstwerke empfunden werden." (Thomas Rottenberg, derStandard.at, 02.10.2008)