"Die Gier ist gut, die Gier schafft Werte und Wohlstand," heißt es im Filmklassiker "Wall Street", in dem Aufstieg und Fall des Junk-Bond-Erfinders Mike Milken nachgezeichnet werden.

Die Gier zerstört auch und schafft Armut, das haben die vergangenen Wochen ausführlich gezeigt: Die Wall Street ohne Lehman Brothers & Co ist nicht mehr die Wall Street, und allein am Montag wurden weltweit Börsenbewertungen in der Höhe von 2000 Milliarden Dollar vernichtet, weil sich der US-Kongress zierte, Staatshilfen für den Bankensektor freizugeben.

Dabei bleibt den USA und auch der EU und Japan gar nichts anderes übrig, als den Instituten unter die Arme zu greifen: Viele der Banken sind "too big to fail", ihr Scheitern käme noch teurer und würde unzählige Folgekonkurse auslösen.

So sinnvoll die Rettungsfonds dies- und jenseits des Atlantiks auch sind, leisten sie dauerhaft nur gute Dienste, wenn sie auch eine tiefergehende Systemkritik auslösen: Nicht wenige Institute wanken derzeit nicht, weil ihre Manager übermäßig gierig waren, sondern weil sie zur Gier gezwungen wurden.

An den internationalen Börsen ziehen die Banken Anleger und Geldgeber an, die die höchsten Renditen versprechen. Schafft eine international agierende Großbank eine Rendite von 20 oder 30 Prozent auf das eingesetzte Kapital, ist die Konkurrenz gezwungen nachzuziehen.

Und damit entsteht ein fataler Wettlauf, und immer höhere Verzinsungen werden mit immer waghalsigeren und absurderen Investitionsvehikeln erreicht. Junge Finanzgenies entwarfen Produkte, die kurzfristig hohe Gewinne brachten, aber von den letztendlich verantwortlichen Vorständen kaum mehr verstanden wurden - was egal war, solange die Gewinne sprudelten. Wer nicht mitmachte, zählte an den Börsen zu den Verlierern, verzeichnete bald höhere Finanzierungskosten und war schnell seinen Job los. Der gute volkswirtschaftliche Grundsatz, dass die Finanzwirtschaft langfristig nur so schnell wachsen kann wie die dahinterstehende reale Wirtschaft, der wurde nur noch mild belächelt.

Nun sind die Grenzen der Gier drastisch klar geworden. Aber dennoch dürfte sie weiterhin zu den am weitesten verbreiteten menschlichen Eigenschaften zählen.

Daraus ergibt sich die Notwendigkeit einer viel strengeren Regulierung im Finanzbereich, als das bisher angedacht wurde. Jeder Spekulation sollte entsprechendes Eigenkapital gegenüberstehen. Die Eigenkapitalbasis der Banken sollte deutlich verbreitert werden (bisher ging das in die Gegenrichtung: Je weniger Eigenkapital eine Bank hatte, desto höher fiel die Eigenkapitalverzinsung aus).

Banken mit überdurchschnittlich hohen Erträgen sollte genau über die Schulter geblickt werden: Nicht nur die Rendite ist interessant, sondern auch das Risiko, mit der diese Rendite verdient wurde.

Und natürlich benötigen grenzüberschreitend tätige Bankenriesen auch entsprechende Aufsichtsorgane. Und schließlich sollten Institute, die mit öffentlichem Geld gerettet wurden, dieses auch zurückzahlen, wenn sie später wieder Geld verdienen.

Ohne Rückzahlungsverpflichtung wären die Rettungsfonds eine Versicherungspolizze für die großen Institute und deren Aktionäre: Gehen die Spekulationen auf, steigen die Dividenden. Lagen die Fondsmanager falsch, hilft der Staat. So kann es nicht gemeint sein. Das wäre eine Verstaatlichung der Verluste bei weiterer Privatisierung der Gewinne. Und genau diesen Anreiz sollten die Rettungsfonds der EU und der USA nicht bieten. (DER STANDARD, Printausgabe, 2.10.2008)