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Herbert Dachs: "Demokratie kann alles Mögliche sein, und man kann unterschiedliche Regeln haben, wie man die Macht verteilt".

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STANDARD: Was lernen wir aus der Nationalratswahl 2008?

Dachs: Dass es verderblich ist vonseiten derer, die in Regierungsverantwortung stehen, keine Ergebnisse zu bringen. Koalitionsregierungen sind naturgemäß immer mit Konflikten behaftet, aber sie müssen letztendlich nach außen ein Mindestmaß an sichtbaren Gemeinsamkeiten zeigen können. Sie müssen ein Mindestmaß an Erfolgen, also gelöste Probleme vorweisen, und für die Psychohygiene in einer Koalition ist es unbedingt notwendig, dass sich die Partner gegenseitig Erfolge gönnen.

STANDARD: Nach diesen Kriterien hat die alte große Koalition so ziemlich in allen Punkten versagt.

Dachs: Eine wesentliche Ursache für dieses Wahlergebnis liegt darin, dass die Koalitionsparteien von gestern in entscheidenden Themenkomplexen nicht couragiert - um nicht zu sagen: feige - waren. Sie haben das Europathema mit seiner Zukunftsdimension und der Notwendigkeit für einen Kleinstaat wie unseren nicht ausreichend thematisiert. Die SPÖ ist da ja überhaupt in völlige Diffusität versunken. Es ist nicht thematisiert worden, wie man sich eine geregelte und offensiv vorgetragene Integrationspolitik vorstellt. Auch die Bildungsfrage blieb unbeantwortet, da hat man sich in der Gesamtschulgeschichte verheddert und gemeint, das sei schon alles. Es gibt viele Punkte, wo man durch Nichtstun, Herumdiskutieren und gegenseitige Blockade die Bühne freigemacht hat für handgestrickte und klobige Einfachlösungen.

STANDARD: Die Gewinner sind FPÖ und BZÖ. Ist das ein "Rechtsruck" oder einfach nur eine Flucht der von der großen Koalition Angekotzten?

Dachs: Diejenigen 30 Prozent, die zu FPÖ und BZÖ gewandert sind, könnte man von der Motivation her in drei Cluster einteilen: Eine nicht so kleine Gruppe, offenbar viele jüngere Menschen, die sehr stark auf die Attitüde des Spitzenkandidaten quasi abfahren. Motto: lieber gegeltes Haar statt grauer Bart. Eine zweite Gruppe wird sich angesprochen gefühlt haben, weil gewisse Themen, die sie bewegen - sozialer Natur oder Angst vor Überfremdung - offensiv angesprochen wurden. Diese Wähler blenden gleichzeitig aus, was diese Parteien noch an hässlichen Seiten transportieren. Die dritte Gruppe ist die, die auch mit dem Gesamtkonzept von FPÖ oder BZÖ einverstanden ist.

STANDARD: Welche Rückkoppelungseffekte kann das haben?

Dachs: Folgenreicher als die Motive der nach rechts gewanderten Wähler ist etwas anderes, das die künftige Regierungsarbeit sehr stark belasten wird: Die Verliererparteien sehen, mit welchen Themen und Slogans, Nichtthemen und gefährlichen Themen da gewonnen wird. In vielen dieser Themen sind couragierte Reformen notwendig, die auch wehtun werden. Es ist zu befürchten, dass der Kleinmut bei denen, die dann in Regierungsverantwortung sind, wächst, weil man meint, dass man inhaltlich eine rechtere Politik machen muss, um nicht zu viele Leute zu verprellen. So gesehen glauben ich, dass wir, unabhängig, ob FPÖ und BZÖ in eine Regierung kommen, in den nächsten Jahren eindeutig eine rechtere Politik haben werden.

STANDARD: Die große Koalition ist mittlerweile übel beleumundet, und schon am Wahlabend geisterte die "strukturelle Mehrheit rechts der Mitte" durch die Partyzelte der Parteien. Was wollten denn die Wähler?

Dachs: Wir haben das Verhältniswahlrecht, und das bedeutet, dass nach dem Auszählen der Stimmen jedesmal alles möglich ist. Die Verpflichtung für die politischen Eliten besteht darin, eine Regierung zustande zu bringen. So gesehen ist es eine Schizophrenie in der öffentlichen Diskussion, dass eine deutliche Mehrheit der Bevölkerung gegen ein Mehrheitswahlrecht ist, sich aber bitterlich beklagt, wenn es elendslang dauert und es Tricksereien und Basar-Methoden gibt, um zu einer Regierungsmehrheit zu kommen. Diese Schizophrenie hat schon Züge von Demokratiegefährdung an sich. Viele glauben, große Koalition ist Demokratie. Aber Demokratie kann alles Mögliche sein, und man kann unterschiedliche Regeln haben, wie man die Macht verteilt.

STANDARD: Ist dieses Wahlergebnis auch ein Zeichen für eine Krise der Großparteien, die ja nicht nur in Österreich dezimiert werden?

Dachs: Es ist insofern eine Krise der Großparteien, weil die heutige Problemlage mit Problemen, auf die eine nationale Politik faktisch gar keinen Einfluss mehr hat, nicht nur die Problemlösungskraft von Nationalstaaten überfordert, sondern auch von Integrationsparteien. Besonders die ÖVP war von ihrem Grundentwurf her ja das Integrationskonzept schlechthin. Sie wollte in sich bewusst von Anfang an auch die gesellschaftlichen Widersprüche von Kapital und Arbeit, Stadt und Land vereinigen. Die Integrationskraft ist eindeutig überfordert, die verschiedenen anderen Interessenlagen, die auftauchen und nicht Unterschlupf finden in einer der großen Parteien, werden woanders befriedigt. Die Wähler sagen, was spricht mich im Moment an, und agieren in diesem Selbstbedienungsladen dann einmal so und einmal so. (Lisa Nimmervoll/DER STANARD-Printausgabe, 1. Oktober 2008)