Die Holzchemikerin Antje Potthast analysiert Zellulose. Nur wer den nachwachsenden Rohstoff genau kennt, kann dessen Einsatz optimieren und sinnvolle neue Anwendungsgebiete finden.

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STANDARD: Welche Eigenschaften zeichnen den Rohstoff Zellulose aus?

Potthast: Zellulose hat hohe chemische und physikalische Stabilität. Sie ist in gängigen organischen Lösungsmitteln nicht löslich, interagiert sehr komplex mit Wasser. Eine wichtige Eigenschaft, wenn man an Papier denkt. Durch ihre sehr langen Polymerketten hat sie extrem hohe Festigkeiten, die man bei natürlichen Stoffen nur selten findet. Diese Eigenschaften macht man sich schon lange zunutze, deren Hintergründe hat man aber noch nicht ganz verstanden. Da wollen wir nun in die Tiefe gehen.

STANDARD: Welche neuen Erkenntnisse erwarten Sie?

Potthast: Zellulose erscheint oberflächlich gesehen als sehr einfach gebautes Molekül. Wenn man genauer hinschaut, ist die Sache deutlich komplizierter. Bestimmte Strukturen wie die Wasserstoffbrückenbindung versteht man noch nicht im Detail, die sind aber für die Eigenschaften der Zellulose wichtig.

STANDARD: Einer der vier Schwerpunkte des neuen Doppler-Labors ist die Massenentsäuerung von Büchern. Warum ist das ein Thema?

Potthast: Die meisten Bücher in unseren Nationalbibliotheken sind nicht älter als 150 Jahre. Diese industriell gefertigten Bücher drohen in einer langsamen sauren Hydrolyse zu zerfallen. Das kann man durch Massenentsäuerung verhindern. In Österreich ist das noch kein Thema, diesem Problem wird man sich aber stellen müssen, weil auch hier jede Menge versäuerter Bücher liegen.

STANDARD: Warum werden Bücher sauer?

Potthast: Es wurden Leimungsmittel verwendet, um die Beschreibbarkeit des Papiers zu verbessern und zu verhindern, dass Tinte oder Druckerfarbe ausläuft. Anfänglich hat man mit Gelatine geleimt, als die industrielle Fertigung so um 1850 begann, nahm man dann Alaun und Harz. Alaun, Aluminiumsulfat, sondert Schwefelsäure ab, und Schwefelsäure, eine sehr starke Säure, bedroht die Zelluloseketten, die hydrolytisch gespalten werden, sie baut die Zellulose ab. Das Papier wird spröde, brüchig, bekommt Löcher. Im Extremfall zerkrümelt es dann.

STANDARD: Wie funktioniert die Entsäuerung?

Potthast: Das ist ein richtiger Massenprozess, es geht ja um Tonnen von Büchern. Man kann die Bücher nicht ausbinden, deshalb kommen sie so, wie sie sind, in einen Reaktor. Der Reaktionsraum wird geschlossen und mit einem organischen Lösungsmittel geflutet, welches das Entsäuerungsreagenz enthält. Vorhandene Säure wird neutralisiert und eine alkalische Reserve in das Papier eingebracht, weil man davon ausgehen muss, dass erneut in geringem Maße Säure entstehen kann. Diese Reaktion geht sehr schnell, das organische Lösungsmittel wird wieder abgepumpt, die Bücher werden rekonditioniert, eventuelle Ablagerungen werden abgepinselt, dann kommen die Bücher wieder zurück in die Bibliothek.

STANDARD: Diesen Prozess wollen Sie nun optimieren?

Potthast: In Deutschland hat man seit zehn Jahren Erfahrung mit Massenentsäuerung. Wir wissen, dass sich die Lebensdauer durch Massenentsäuerung erhöht, weil die Stabilität des entsäuerten Papiers signifikant höher ist. Aber man versteht noch nicht ganz, was bei diesem Prozess wirklich passiert. Bücher mit extremen Vorschäden etwa können durch die Entsäuerung noch mehr beschädigt werden. Wir wollen den Prozess verbessern, die Qualitätskontrolle vereinfachen und vor allem zerstörungsfreie Methoden zur Kontrolle von Restaurierungsbehandlungen entwickeln. Das betrifft dann auch wirklich sehr alte Papiere.

STANDARD: Kunsthistorisch wertvolle Stücke kommen nicht in den Reaktor?

Potthast: In die Massenentsäuerung kommen Bücher, die in den Nationalbibliotheken stehen, entsprechend ihrem Auftrag, von jedem gedruckten Buch ein Exemplar zu sammeln. Das sind Bücher, die nicht im Tresor liegen, sondern benutzt werden. Die sollen ja auch in 100 Jahren noch lesbar sein.

STANDARD: Was hat man aus der Untersuchung historischer Bücher gelernt?

Potthast: Wir haben bereits im alten Labor Methoden zur Schadenskontrolle entwickelt, die vor der Restaurierung historisch wertvoller Stücke Aufschluss über den Grad des Zelluloseabbaus geben. Bei der Arbeit an den Chroniken der südkoreanischen Joseon-Dynastie aus dem 15. Jahrhundert konnten wir feststellen, dass das verwendete Bienenwachs nicht den gewünschten Schutz brachte, sondern hydrolytischen Schaden verursachte. Hanji-Papier, das in Bienenwachs getaucht wurde, ist in wesentlich schlechterem Zustand als solches ohne den vermeintlichen Schutz. Wir haben analysiert, warum das Papier schlechter ist und was man zur Konservierung machen kann.

STANDARD: Sie wollen auch Restauratoren beraten?

Potthast: Ja, wir sehen uns auch als beratendes Zentrum für Restauratoren. Wir geben Museen Entscheidungshilfen, wenn es um die Restaurierungsmethoden geht, aber auch, wenn wertvolle Stücke verliehen werden sollen. Durch unsere Analyse können wir die nötigen Zahlen liefern. Wir schauen uns die Zellulose auf der molekularen Ebene an, um ihren Zustand zu analysieren. Dann können die Museen entscheiden, ob ein Stück noch transportfähig ist, ob es restauriert werden soll oder die Lagerbedingungen verbessert werden müssen. (Jutta Berger/DER STANDARD, Printausgabe, 1.10.2008)