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Zur Person

Buchautor David Servan-Schreiber (47) wollte wissen, was jeder Einzelne gegen Krebs machen kann. Dafür hat er Studien zur Wirkung von Ernährung, Bewegung und mentaler Kraft gesammelt.

Servan-Schreiber ist Psychiater. Er arbeitet an der Universität von Pittsburgh und in Frankreich an der medizinischen Fakultät in Lyon. Der gebürtige Franzose entdeckte vor 16 Jahren im Zuge seiner neurokognitiven Forschungen an der Universiät Pittsburgh bei sich selbst einen Gehirntumor. Nach der ersten Chemotherapie erlebte er einen Rückfall, seit damals ist die Erkrankung nicht wiedergekehrt. Servan-Schreiber lebt in Frankreich und in den USA.

Foto: AFP/Jean-Pierre Muller

Anti-Krebs-Buch. Kunstmann 2008, 352 S., 24,90 Euro

Foto: Buchcover/Tilman Göhler

STANDARD: Der Titel Ihres Buches "Das Anti-Krebs-Buch" klingt reißerisch. Was wollen Sie damit sagen?

Servan-Schreiber: Soweit ich weiß, gibt es kein Buch über Krebs, das den Menschen nicht Angst machen würde. Ziel meines Buches ist es, den Eindruck von Machtlosigkeit und Ausgeliefertsein zu relativieren. Jeder von uns trägt Krebszellen in sich, aber nur ein Mensch von vier entwickelt auch tatsächlich Krebs, drei von vier nicht. Es gibt körpereigene Abwehrkräfte, die die krankhafte Vermehrung dieser Zellen verhindert.

STANDARD: Sie selbst hatten einen Hirntumor. Ist das Buch eine persönliche Bewältigung?

Servan-Schreiber: Es ist sicher das Buch, das ich mir für meine eigene Erkrankung als Begleitung gewünscht hätte. Im Gegensatz zu anderen Büchern stelle ich der regulären onkologischen Therapie kein Konzept entgegen. Mir haben Chemotherapie und Bestrahlung das Leben gerettet. Nach Abschluss einer Behandlung hören Patienten aber oft von ihren Ärzten: "Leben Sie Ihr Leben, so wie Sie es immer getan haben." Das ist schwierig auszuhalten.

STANDARD: Und was kann man tun?

Servan-Schreiber: Die Tatsache, dass ich Krebs habe, hat meinen Zugang zu wissenschaftlichen Problemstellungen nicht verändert. Ich habe also begonnen, medizinische Journale nach Antworten zu durchforsten, und viele interessante Studien zum Thema gefunden. Ernährung, Mentaltraining und Sport haben viel Einfluss auf die Gesundheit.

STANDARD: Warum kennen Ärzte solche Studien nicht?

Servan-Schreiber: Viele Erkenntnisse, etwa zur Ernährung, gewinnt man in epidemiologischen Übersichtsstudien. So weiß man, dass Bevölkerungsgruppen, die viel Fisch essen, weniger oft an Darmkrebs erkranken. Aus Sicht eines Wissenschafters ist diese Erkenntnis allein aber nicht stark genug. Man will prospektive, also vorausblickende Studien, um solche Hypothesen definitiv zu beweisen.

STANDARD: Wie würde eine prospektive Studie zum Fischkonsum aussehen?

Servan-Schreiber: Man würde zwei Gruppen bilden müssen, die eine isst jeden Tag Fisch, die anderen gar nicht. Und das fünf Jahre lang. Und erst dann könnte man beweisen, welchen Einfluss Fisch wirklich hat, also welche Gruppe kränker und welche gesünder ist. Einmal ganz abgesehen davon, dass niemand ein Interesse hätte, solche Studien zu finanzieren, würde wahrscheinlich auch niemand mitmachen. Und wenn doch, dann könnte man die Ergebnisse immer noch anzweifeln, indem man die Qualität des Fisches infrage stellt.

STANDARD: Fragen des Lebensstils sind deshalb nicht Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen?

Servan-Schreiber: Man beginnt damit. Gerade diese Woche ist eine Studie in Lancet Oncology erschienen, die sich mit Lebensstil und seinen Einfluss bei Prostata-Krebs auseinandersetzt. Es wurden da ganz bestimmte Zelleigenschaften untersucht. Also, man beginnt das Thema ernst zu nehmen, und das ist ein gutes Zeichen.

STANDARD: Konkret greifen Sie die Bedeutung von Sport heraus...

Servan-Schreiber: In den 50er-Jahren wurden einem nach einem Herzinfarkt mehrere Wochen Bettruhe verordnet. Heute weiß man, dass das falsch war, und hält Patienten dazu an, sehr schnell wieder mit dem Training zu beginnen. Es hat einige Jahrzehnte für diese Erkenntnis gebraucht, für Krebs wird es ähnlich sein.

STANDARD: Sport auch während der Chemotherapie?

Servan-Schreiber: Es gibt eine Studie, in der Frauen mit Brustkrebs angehalten waren, sechsmal pro Woche einen Fußmarsch zu machen, eine andere Gruppe musste das nicht. Und es hat sich herausgestellt, dass damit die Rückfallrate um 50 Prozent reduziert werden konnte. Zum Vergleich: Das Medikament Herceptin, das bei einer ganz bestimmten Art von Brustkrebs eingesetzt wird, reduziert das Rückfallrisiko ebenfalls um 50 Prozent. Warum sollte man es also nicht mit Bewegung versuchen? Es schadet nicht.

STANDARD: Ihre zweite wichtige These ist, dass die Menschen den Einfluss von Ernährung unterschätzen.

Servan-Schreiber: Wir essen dreimal am Tag, jeden Tag. Es ist deshalb ganz logisch, dass wir damit einen Einfluss auf den Körper ausüben. Es ist sicher nicht so, dass ein bestimmtes Nahrungsmittel auf eine bestimmte Körperfunktion wirkt, sondern auf eine Vielzahl. Substanzen in Brokkoli, Kohl, Kurkuma, Zwiebel und Knoblauch, aber auch in grünem Tee und in Beeren sind gut für den Körper und schlecht für die Krebszellen. Jeder kann seine Anti-Krebs-Biologie aufbauen.

STANDARD: Warum ist Zucker schädlich?

Servan-Schreiber: Es ist sehr gut dokumentiert, dass Krebszellen in erster Linie Zucker brauchen, um sich gut entwickeln zu können. Der Konsum von raffiniertem Zucker ist in den USA in den letzten 50 Jahren von fünf Kilo auf 70 Kilo pro Person und Jahr gestiegen - in Europa sind die Zahlen niedriger, aber es gibt dieselben Tendenzen. Genetisch betrachtet ist unser Körper nicht für so viel Zucker geschaffen. Übrigens auch nicht für so viel Fleisch. Der World Cancer Research Fonds sagt, dass der Mensch nicht mehr als 300 Gramm rotes Fleisch in der Woche essen sollte. In Amerika isst man das aber pro Tag. Dabei wären pflanzliche Eiweiße in Linsen, Bohnen oder Getreide eine gute Alternative.

STANDARD: Stress ist auch schlecht?

Servan-Schreiber: Das sage ich nicht. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass Stress Auslöser für Krebs ist. Was allerdings ganz gut untersucht wurde, ist die Tatsache, wie verschieden Menschen auf Stress reagieren. Menschen, die auf Stress mit einem Gefühl von Verzweiflung und Machtlosigkeit reagieren, schwächen den Körper und geben Krebszellen damit mehr Chancen.

STANDARD: Wie man reagiert, kann man sich aber nicht aussuchen.

Servan-Schreiber: Nein, aber man kann sich vieles im Leben mehr bewusst machen und sich zum Beispiel ganz absichtlich Zeit für sich selbst nehmen. Das fördert das Bewusstsein, lässt einen wieder Verantwortung für sich selbst übernehmen. Denn es gibt starke Hinweise darauf, dass es einen Zusammenhang zwischen Depression und Krankheit gibt. Man sollte versuchen, sein Leben besser zu machen, egal was passiert. Patentrezepte gibt es nicht, nur individuelle Wege.

STANDARD: Wie viel Spielraum gibt es?

Servan-Schreiber: Ich bin gegen falsche Hoffnungslosigkeit. Jeder kann beginnen, die Mechanismen von Gesundheit zu verstehen, jeder hat die Wahl. Das sage ich, weil es wissenschaftliche Beweise dafür gibt, die die Menschen kennen sollen. Es sollten sie jene kennen, die gesund sind, damit sie nicht krank werden, und jene, die schon krank sind, damit sich ihr Körper bestmöglich wehren kann. (Karin Pollack, DER STANDARD, Printausgabe, 29.9.2008)