q/uintessenz (Hrsg.): "Am Ende der Leitung"

Broschiert, 321 Seiten, € 15, q/uintessenz 2008.

2007 rief der Verein q/uintessenz, Veranstalter der Big Brother Awards Österreich, zu einem SF-Literaturwettbewerb auf. Thema: Datenschutz und Überwachungstechnologien. Sonst gab es keine inhaltlichen Vorgaben, und entsprechend vielfältig sind die Zugänge der 27 in dieser Anthologie zusammengefassten Texte, ausgewählt aus 300 Einsendungen, ausgefallen - drei davon wurden außerdem von einer Jury, der unter anderem Franz Rottensteiner angehörte, prämiert.

Den verdienten ersten Platz belegte Florian Bayer mit der Kurzgeschichte "EWE" (Everybody Watches Everybody): Protagonist Nicolai verbringt wie alle Menschen zwischen 17 und 70 sechs Stunden jedes Tages damit, einen ihm zugeteilten Bürger per Kamera zu überwachen und laufend Protokolle an die zentrale Behörde einzuschicken - ganz so, wie es jemand anderer mit ihm tut; letzteres ohne Altersgrenze: passives Beobachtungssubjekt bleibt man nämlich ein Leben lang. Menschen beobachten Menschen, die Menschen beim Beobachten von Menschen beobachten - Kontaktaufnahme zwischen den Gliedern der Kette ist verboten, und die Verbrechensrate tendiert gegen Null. Ein perfektes Stück Ideen-SF, das zwar auf eine vorausahnbare Pointe hinausläuft, aber nichtsdestotrotz durch seine Originalität besticht. - Auf den Plätzen 2 und 3 wurden die reichlich in sich selbst verliebte Erzählung "Abteilung ÜBLDA" von Reinhold Schrappeneder und das straightere "Null Punkte" von Uwe Protsch gereiht: Beiden ist gemeinsam, dass sie Überwachung aus Sicht der durchführenden Behörden bzw. Täter schildern.

Wie immer liegt der Reiz von Anthologien darin, dass Originelles neben Plattem und Gelungenes neben Ungelenkem steht - hier verstärkt durch den Umstand, dass die Beiträge sehr kurz sind (zwischen einer und 20 Seiten) und um ein gemeinsames Thema kreisen ... dem aber erstaunlich unterschiedliche Facetten abgewonnen werden. Den "wohlmeinenden" Überwachungsstaat der Nahzukunft, der von Sprache bis zur richtigen Ernährung alles reglementiert, zeichnen Mary Jirsak und Matthias Beirau - dass Kontrolle aber auch ganz ohne Technik funktionieren kann, zeigt Björn Schubert mit seiner herrlich surrealen Episode "Der Protokolleur" vom Überwacher, der mit Schreibblock auf dem Kasten sitzt und seinem Opfer über die Schulter guckt. Nur am Rande mit dem Thema zu tun hat Jochen Micknats "Pavels Hund" und ist dennoch einer der besten Texte. Makabrer Inhalt ist die (zum Glück fiktive) Umkehrbarkeit des Pawlowschen Reflexes: Der Klang des berühmten Glöckchens kann den Appetit nicht nur wecken, sondern auch stillen - und wer es regelmäßig hört, verhungert satt und zufrieden. Eine absurd-komische Seite schließlich gewinnt Stephan Lack dem Thema mit "Frittierte Belugas mit Ohren" ab, das die liebenswert altmodische Form des Restaurant-Sketches ins 25. Jahrhundert beamt.

Dieser Vielfalt der Herangehensweisen steht ein bemerkenswert einhelliger pessimistischer Grundtenor gegenüber: In fast allen Beiträgen obsiegt der Große Bruder, welche Form auch immer er angenommen hat - beispielhaft etwa Arno Endlers Geschichte "Meine Farbe ist Schwarz", in der eine alternative Low-Tech-Gesellschaft vom sie umgebenden Überwachungsstaat unbarmherzig plattgemacht wird. Nur drei AutorInnen lassen ihren ProtagonistInnen wenigstens die theoretische Chance, dem System ein Schnippchen zu schlagen - mit eingerechnet schon Sarah Fiona Gahlens "Das Geheimnis", in dem sich der Kampf um Persönlichkeitsschutz bloß noch auf der Ebene sinnfreier und politisch irrelevanter Schülerstreiche abspielt ... die Teenager erzielen sympathische "Erfolge", die die allgemeine Ausweglosigkeit aber eher noch unterstreichen. Überwachung als unentrinnbare Naturgewalt? Wenn Science Fiction auch das Genre ist, in dem Zukunftsängste an die Oberfläche gebracht werden, dann hat "Am Ende der Leitung" offensichtlich ins Schwarze getroffen.

Eine Extra-Erwähnung gebührt noch einer weiteren Autorin - weniger ihrer Erzählung als ihres Eintrags im AutorInnenverzeichnis wegen: Denn wo die anderen brav bio- und bibliografische Daten nebst Foto aufreihen, steht bei ihr lapidar: Katja Häuser legt Wert auf ihre Privatsphäre. Prägnanter kann man den Grundgedanken der Anthologie wirklich nicht auf den Punkt bringen.

Coverfoto: quintessenz

Philip Josè Farmer: "Das magische Labyrinth. Flusswelt-Zyklus 4"

Broschiert, 555 Seiten, € 9,20, Piper 2008.

Wiederveröffentlichungen sind im deutschsprachigen Raum dünn gesät - umso schöner, dass es mit "Flusswelt" einen lange vergriffenen echten Klassiker wieder zu haben gibt. Passenderweise 2008 herausgegeben: dem Jahr, in dem außerirdische Besucher die Menschheit auslöschten ... so will es zumindest eines der unzähligen Gerüchte, die an den Gestaden des viele Millionen Kilometer langen Flusses unter den wiederweckten Toten kursieren. Aber kann man dem Glauben schenken? Immerhin tritt unter den Gestrandeten einer auf, der behauptet aus dem 72. Jahrhundert zu kommen, und auch das Jahr 1983 (nach dem Erscheinen der englischsprachigen Originalausgabe von "The Magic Labyrinth") scheint eine bedeutende Zeitenmarke darzustellen. Wie gehabt tappen also die ProtagonistInnen durch die Nebel des Großen Geheimnisses - aber soviel kann verraten werden: Am Ende des vorliegenden vierten Bandes wird es tatsächlich gelöst werden!

Aporopos unübersichtliche Lage: Wer die ersten drei Teile nicht gelesen hat, könnte sich inzwischen etwas schwer tun (hier eine kurze Einführung zur allgemeinen Orientierung) - frühere Episoden und Charaktere sonder Zahl spielen für die aktuelle Handlung eine Rolle, vor allem wenn die Hauptfiguren vergangene Begegnungen nachträglich daraufhin analysieren, wer ein maskierter Ethiker - also einer der scheinbar allmächtigen Verantwortlichen des Flusswelt-Projekts - oder deren Agent gewesen sein könnte. Das Misstrauen blüht, und auf ihren letzten Abschnitten nimmt die Expedition zum Dunklen Turm am Pol der Flusswelt Agatha Christie-artige Züge an.

Seit Band 1 sind Jahrzehnte vergangen, und die Zeichen stehen auf Eskalation: Wer im Flusstal stirbt, wird nicht mehr wiedererweckt, der Ausfall der Nahrung spendenden Gralsteine führt zu Hungerkriegen und das von Rachedurst angefeuerte Wettrennen der Schaufelraddampfer findet sein Ende: Samuel Clemens alias Mark Twain jagt auf seiner "Nicht Vermietbar" in Begleitung von Cyrano de Bergerac und dem lispelnden Titanthropen Joe Miller dem englischen König John Lackland hinterher, der ihm einst sein erstes Schiff gestohlen hat; Richard Burton (der Entdecker, nicht der Schauspieler) und Alice Hargreaves hat es als Passagiere an Bord von Johns Schiff verschlagen. So werden alle Hauptfiguren der bisherigen Bände in den unvermeidlichen Showdown hineingezogen - und der findet in Form einer 100-seitigen infernalischen Schlacht zwischen den mit MGs, Kampfflugzeugen und Torpedos ausgestatteten Flussdampfern statt. Schauplatz ist ausgerechnet das paradiesische Virolando, Zentrum der pazifistischen Kirche der Zweiten Chance, als deren Bischof der einstige Nazi-Bonze Hermann Göring endlich die lange ersehnte Läuterung erlangt hat. Farmer - in Sachen Gewaltdarstellungen nie eine Zimperliese - liefert mit der Beschreibung einer Schlacht, die von der High Tech-Auseinandersetzung zum primitiven Hauen und Stechen absinkt und so nebenbei ein mögliches Eden verwüstet, seinen ganz eigenen Kommentar zum Thema Krieg ab.

Wieder fügen sich Abenteuer, philosophische Einschübe und historische Exkurse (Farmer gab schon immer gern Angelesenes zum Besten) zu einem beeindruckenden Ganzen - und immer wichtiger wird auch die charakterliche Entwicklung der Hauptfiguren: Ein Kapitel wird von einer einzigen Tirade Burtons, in der der aufbrausende Egozentriker zwischen Größenwahn und Selbstmitleid oszilliert, eingenommen. Und der einstmals so liebenswerte Mark Twain - geplagt von den Erinnerungen an seine verlorene Familie und all das, was er auf der Flusswelt bereits verbrochen hat - mutiert zusehends zum Fanatiker: "Ich bin der absolut friedlichste Mensch, den es überhaupt gibt!" schreit er, ehe er sich blutdürstig in die letzte Schlacht werfen wird. - Am Ende erfahren die Überlebenden buchstäblich das Geheimnis der Schöpfung, was eine Seele wirklich ist und andere Kleinigkeiten ... Halbherzigkeit hat sich Farmer für sein "Flusswelt"-Konzept nicht geleistet. "Das magische Labyrinth" ist Höhepunkt und eigentlicher Abschluss des Zyklus - mit einem kleinen Cliffhanger am Ende, der den fünften Band (erscheint im Dezember) trotzdem rechtfertigt.

Als Kaufanreiz für Altfans enthält "Das magische Labyrinth" - eine leicht überarbeitete Neuversion der Übersetzung von Ronald M. Hahn aus dem Jahr 1981 - eine ca. 60-seitige Novelle: "Die Überquerung des dunklen Flusses" ("Crossing the Dark River", 1992) spielt wenige Jahre nach der Aktivierung der Flusswelt und dreht sich um einen von Farmers Vorfahren, den Osteopathen Andrew Paxton Davis, der sich gemeinsam mit einem Wikingerkönig und dem als "Dr. Faustvoll" auftretenden Dichter Alfred Jarry ebenfalls auf die große Reise den Fluss entlang begibt. Mehr Episode als abgeschlossene Einheit, war die Erzählung wohl als Startschuss für weitere Abenteuer gedacht und gehört zu einem Bündel an "Flusswelt"-Geschichten aus den frühen 90ern, die nie auf Deutsch erschienen sind.

Coverfoto: Piper

Will Elliott: "Hölle"

Broschiert, 387 Seiten, € 17,40, Piper 2008.

Alle hassen Clowns. Oder genauer: Alle haben Angst vor ihnen - selbst Kinder, die noch nicht mit Pennywise in Berührung gekommen sein können, wie eine britische Studie Anfang dieses Jahres zeigte. Der bemerkenswerte Prozentsatz an befragten Vier- bis Sechzehnjährigen, die Ängste und Ablehnung eingestanden: Hundert.

Es lässt also nichts Gutes erwarten, dass der junge Jamie aus Brisbane eines Nachts beinahe einen Clown mit dem Auto umfährt und diesem - nebst zwei Kollegen - kurz danach unter nicht weniger makabren Umständen erneut begegnet. Und dann hat Jamie in direkter Folge die zwei schlechtesten Ideen seines Lebens: Er nimmt einen Beutel mit seltsamem Staub, den einer der Clowns verloren hat, an sich ... und streut ein bisschen davon seinem nervtötenden WG-Kumpel in die Milch. Als er das nächste Mal von seiner Portier-Nachtschicht in einem "Gentlemen's Club" zurückkehrt, findet er sein Wohnhaus auf staunenswert ekelerregende Weise verwüstet vor. Und man hat ihm und seinem Opfer ein Ultimatum hinterlassen: Bringt uns zum Lachen, oder ...

Mit einem tolldreisten Einfall besteht Jamie die Probe und wird vom Clown Gonko und dessen reichlich irren Spießgesellen zu "The Pilo Family Circus" (so auch der Originaltitel des Romans) entführt: Ein als Dixi-Klo getarnter Fahrstuhl bringt sie in eine bizarre unterirdische Parallelwelt, die innerhalb ihrer Umzäunung den "größten Zirkus der Welt" birgt, während draußen undurchdringlicher weißer Nebel wallt. Du bist hier genau genommen nicht mehr auf der Erde, wird Jamie von einer Wahrsagerin eröffnet, die ebenso echt ist wie die Freaks der Monsterschau, der Magier mit Turban, die Zwerge und Kraftmenschen und all die anderen Zirkus-Archetypen, die den Roman mit Leben füllen. Beziehungsweise mit Blut: Denn die einzelnen Artistengruppen sind sich nicht nur untereinander spinnefeind, sondern führen auch Außenarbeiten in der Oberwelt durch. Dabei setzen sie gezielt Ereignisketten in Gang, die auf lange Sicht stets dem Unwohl der Menschheit dienen. Als Lehrling Gonkos in der Clown-Truppe macht Jamie einen Persönlichkeitswandel durch: Mit dem Auftragen der Clownschminke steigen tief in ihm verborgen gewesene dunkle Züge an die Oberfläche und der sympathische Loser wird zum Serienmörder. Fortan muss Jamie mit seinem psychotischen Alter Ego "JJ", dessen Wahnsinnstaten ihn entsetzen, um die Vorherrschaft über seinen Verstand ringen.

An Will Elliotts Roman kam man in diesem Jahr kaum vorbei: Es regnete Preise, hymnische Kritiken - befeuert nicht zuletzt durch den Umstand, dass Elliotts Debütwerk über einen australischen Literaturwettbewerb das Licht der Öffentlichkeit erblickte - und sogar Kino-Werbespots. Trägt der Hype? - Ja, das tut er: "Hölle" ist ein ausgesprochen spannendes Leseerlebnis, nur selten leistet sich Elliott einen Fehltritt (dass der Zweite Weltkrieg das Meisterwerk der "Pilo"-Familie war, ist denn doch ein wenig übertrieben ...). In den Vordergrund wird dabei meist der ins Fantastische enthobene seelische Konflikt des Protagonisten gerückt - als Metapher für unser aller Ringen mit den dunklen Seiten unseres Ichs. Ein anderer Aspekt sollte aber auch nicht vergessen werden: Wir leben in einer Zeit, in der der Zirkus in seiner alten Form im Sterben liegt. Tiernummern gelten (zu Recht) als verpönt, Akrobatik kann man im Kino viel perfekter sehen, Wahrsagerinnen haben ihre eigenen TV-Kanäle und die weltbesten Magier gehen solo auf Tournee. Was übrig bleibt und durch die Provinz tingelt, macht höchstens noch traurig. Elliott aber bringt die alte Faszination für den Zirkus zurück - mag es auch eine Faszination des Grauens sein. Ob gewollt oder als Ausdruck einer unterbewussten Sehnsucht: "Hölle" ist - so pervers es klingt - nicht zuletzt eine große Liebeserklärung an den Zirkus.

Coverfoto: Piper

Lynn Flewelling: "Der verwunschene Zwilling (Tamír Triad 1)"

Broschiert, 571 Seiten, € 16,40, Otherworld 2008.

Für erstklassige High Fantasy, die Genre-Traditionen mit neuen Ideen und einem dankenswerten Schuss Realismus kombiniert, bürgt seit gut einem Jahrzehnt Lynn Flewelling aus Maine. Bekannt wurde sie durch die Romane ihrer "Nightrunner"-Reihe (dt.: "Schattengilde") um das schwule Agenten-, Edelganoven- und Liebespaar Seregil und Alec. Die Abenteuer des populären Duos wurden heuer übrigens nach langer Pause fortgesetzt (siehe die nächste Seite) - in der Zwischenzeit schrieb Flewelling jedoch die "Tamír"-Trilogie, die zwar deutlich düsterer ausgefallen ist als die Mantel- und Degen-Romane der "Schattengilde", aber mit Recht als Höhepunkt ihres bisherigen Schaffens angesehen wird.

Vorwissen ist nicht notwendig: "Der verwunschene Zwilling" (im Original "The Bone Doll's Twin") spielt erneut im Königreich Skala, jedoch einige Jahrhunderte vor der Zeit von Seregil und Alec. Mit einem geschickten Kniff überbrückt Flewelling die dazwischenliegende Zeit - und zumindest an den außenpolitischen Umständen hat sich ohnehin nichts geändert: Einmal mehr liegt Skala mit dem konkurrierenden Königreich Plenimar im Krieg. Doch innenpolitisch ist die Situation nicht weniger prekär: Der gegenwärtige König hat die alte Prophezeiung, wonach Skala stets von einer Frau regiert werden müsse, um zu gedeihen, in den Wind geschlagen und beinahe alle potenziellen Thronfolgerinnen beseitigen lassen. Nur eine konnte von der Zauberin Iya und ihrem Schüler Arkoniel gerettet werden, indem sie sie als Jungen ausgeben - doch dafür reichte es nicht, das Mädchen einfach in Hosen zu stecken. Mit Hilfe von Magie lassen sie das Kind die Stelle seines männlichen Zwillings einnehmen, der dafür bei der Geburt getötet werden musste ...

... eine notwendige und nichtsdestotrotz grausame Tat, die alle weiteren Geschehnisse prägen wird. Die Mutter des "Tobin" genannten Mädchens verliert den Verstand und Tobin selbst wächst nicht nur völlig ahnungslos im falschen Geschlecht heran, sondern muss auch lernen, sich mit dem Geist "seines" ermordeten Bruders zu arrangieren. Eine Rückblende gleich zu Beginn macht klar, dass das aus Verzweiflung geborene Täuschungsmanöver letztlich zum Erfolg führen wird ... doch es ist der Weg zu diesem "Erfolg" und dessen Kosten, worum es in der Trilogie geht. Schuld ist ihr zentrales Motiv: Schuld, die Tobin erfahren muss, wenn "er" sich ohne jede Absicht "schändlich" - also nicht einem Buben gemäß - verhalten hat, und Schuld, die für immer an Iya, Arkoniel und ihren Mitwissern fressen wird. Auch wenn sie auf der guten Seite stehen, sind sie keine Lichtgestalten - diesen Zwiespalt zu schildern ist Flewellings große Stärke. Und es fügt sich ins Gesamtbild einer Autorin, die auf Simplifizierungen und geheuchelte Romantisierungen verzichtet: Wenn Krieg ist, treten nicht makellose HeldInnen gegen die anonymen Scharen des Bösen an, sondern es verrecken Menschen im Kampf gegen Menschen. Komplexe Probleme lassen keine einfachen Lösungen zu - und wo es die nicht gibt, gibt es auch keinen Kitsch.

Als "Das Orakel von Skala" ist "The Bone Doll's Twin" 2003 in einer anderen Übersetzung bei Bastei schon einmal auf Deutsch erschienen - leider wurde die Trilogie danach aber nicht fortgesetzt. Beim Grazer Otherworld-Verlag wird das wirklich empfehlenswerte Werk nun komplett herausgegeben. Teil 2 wird im März unter dem Titel "Die verborgene Kriegerin" erscheinen, der abschließende dritte Teil "Die prophezeite Königin" ist für kommenden Sommer geplant.

Coverfoto: Otherworld

Lynn Flewelling: "Shadows Return"

Broschiert, 522 Seiten, Bantam 2008.

Und da sind sie also wieder: Flewellings beliebteste Kinder, die neun Jahre lang auf Eis gelegen haben. 1999 erschien mit "Traitor's Moon" (dt.: "Unter dem Verrätermond") der dritte und bis heuer letzte Roman um Seregil, Alec und ihr Doppel- bzw. Dreifachleben als vermeintlich harmlose Adelige, Auftragseinbrecher und Agenten im Dienst Ihrer Majestät. In einem sehr witzigen Vorwort zu "Traitor's Moon" beteuerte die Autorin damals, dass sie sich trotz der Dreizahl AUF KEINEN FALL dem Fantasy-typischen Drang zur Trilogie ergeben habe. Und im Grunde war das gar nicht geschwindelt, denn die ersten beiden Bücher "Luck in the Shadows" ("Das Licht in den Schatten") und "Stalking Darkness" ("Der Gott der Dunkelheit") bildeten einen in sich geschlossenen Handlungsbogen, während Nummer 3 lediglich eine zeitliche Weiterführung darstellte. Eine nicht minder gelungene freilich.

Für "Shadows Return", diesen Sommer erschienen, gilt dies nur bedingt: Seit dem vorangegangenen Roman ist handlungszeitlich ein Jahr vergangen. Seregil und Alec werden nur noch selten mit kriminellen Aufträgen bedacht - dafür schickt die neue Königin des Landes, keine Freundin der beiden, sie nach Süden in Seregils ehemalige Heimat Aurenen. Die Mission wurde jedoch verraten - die beiden werden gekidnappt, voneinander getrennt und ins feindliche Königreich Plenimar verfrachtet. Dort ist der Alchemist Ulan i Sathil in erster Linie an Alec interessiert: Er will den Körper des Halbbluts gleichsam als Rohstoffquelle zum Erschaffen eines Rhekaro, einer Art Homunculus mit magischen Fähigkeiten, missbrauchen - und Alec sieht sich einer nicht enden wollenden Reihe von Folterungen ausgesetzt. Kaum besser geht es dem ebenfalls versklavten Seregil, der in die Hände eines alten Widersachers gegeben wurde; einmal mehr holt ihn also seine bewegte Vergangenheit ein.

"Shadows Return" ist keineswegs schlecht - dafür wäre Lynn Flewelling eine zu gute Autorin -, aber dennoch ihr schwächster Skala-Roman bislang. Und das hat mehrere Gründe: Zum einen fehlt die gewisse Leichtigkeit, die die früheren "Schattengilde"-Romane auszeichnete; im Folterkeller wäre dafür auch kaum Platz. Auch der gesellschaftliche Kontext kommt zwangsläufig etwas zu kurz. Nur gelegentlich kann Flewelling ihre Stärken auf diesem Gebiet ausspielen, etwa wenn sie lakonisch schildert, wie der Krieg Skalas Hauptstadt in Form von Ausrufen, Wagenladungen voller Urnen und verkrüppelter Soldaten und wachsenden Engpässen an Metall, Pferden und Fleisch erreicht. Am stärksten dürfte sich aber auswirken, dass sie ein wenig zur Gefangenen der Popularität ihrer Hauptfiguren wurde: So behutsam wurde die langsam sich anbahnende Liebesgeschichte zwischen Alec und Seregil in den ersten drei Büchern aufgebaut und zur glücklichen Vollendung geführt, dass die angewachsene Fangemeinde zwar bereit ist, mit den beiden weitere Komplikationen zu durchleben ... aber mit Happy End, bitteschön. Selbst wenn sie tot (wirklich tot) am Boden liegen, geht jedeR davon aus, dass sie sich durch irgendeinen magischen Kniff schon wieder erheben werden. Zumal die Fortsetzung "The White Road" bereits für Sommer 2009 feststeht.

Fazit: NeueinsteigerInnen sollten sich lieber die - sehr, sehr guten - alten Bücher besorgen, Fans von früher bietet sich zumindest die Gelegenheit für ein lange erwartetes Wiedersehen. Jede Serie hat ihre schwächeren Folgen - die Hoffnung auf Besseres ist aber durchaus realistisch.

Coverfoto: Random House

Andreas Eschbach: "Eine unberührte Welt"

Broschiert, 318 Seiten, € 9,20, Bastei Lübbe 2008.

"Sagen Sie bloß nicht, dass Sie sich nicht längst alles zusammengereimt haben", verspottet ein namenloser Mann den Teilnehmer an einem "Weltraumkolonie-Experiment" in der Titelgeschichte - fast ein Motto für die Sammlung, aber mehr dazu später. "Eine unberührte Welt" ist ein Kessel Buntes - von SF bis Urban Fantasy, von Satiren bis zu Ernsthaftem - von einem der wenigen deutschsprachigen SF-AutorInnen, die sich auch international etabliert haben: nicht zuletzt dank der "Haarteppichknüpfer" aus dem Jahr 1995.

Diese bilden auch den - buchstäblichen - Hintergrund für eine der besten Geschichten der Sammlung, "Die Wiederentdeckung": Pugwat und Jowesh dümpeln auf einem Weltraumfriedhof dahin, an der abgelegensten Peripherie der politischen Umwälzungen um den fernen Kaiser und doch von den ihnen unbekannten Ereignissen betroffen. Ein "apokryphes Kapitel" der "Haarteppichknüpfer" nennt Eschbach selbst die Episode - überhaupt ist jede der 27 Kurzgeschichten aus dem Zeitraum 1990 - 2007 von einem Vorwort eingeleitet, was interessante Einblicke ins Publikationsgeschäft gibt. Erstaunlich, wer so aller SF-Geschichten ordert: von der Tageszeitung bis zum Organisationskomitee der Fußball-WM 2006. Originell auch, dass ein deutscher Autor eine Protagonistin mit Namen Joan Ridgewater wählt, die in der US-Ausgabe dann zur Ursula Froehlich mutiert, weil's deutscher klingt. Dies für die ebenfalls gelungene Erzählung "Die Wunder des Universums", den melancholischen Abgesang einer im Weltraum Schiffbrüchigen; ohne Pointe (die Pointe ist ohnehin der Fluch der Kurzgeschichte, meistens fährt sie besser ohne).

Highlight der Sammlung ist "Die grässliche Geschichte vom Goethe-Pfennig": Die gut gemeinte Idee eines Staatssekretärs zur Rettung des Kulturguts Buch (umgesetzt im Autoren-Arbeitsplatz-Schutzgesetz, abgekürzt AuArSch) setzt eine ökonomisch-bürokratische Spirale des Wahnsinns in Bewegung, die in Auswüchsen wie Bremsmodulen für Kopiergeräte und Prüfungsfragen zur Kontrolle, ob ein gekauftes Buch auch gelesen wurde, mündet. Den Schluss sollte man ausklammern (die Pointe "War alles nur ein böser Traum" ist nun wirklich abgelutscht), die groteske und wohldurchdachte Ideenfülle davor jedoch wäre des großen DDR-Satirikerduos Günter und Johanna Braun würdig.

... und das mit den Schlüssen, die den guten Gesamteindruck trüben, das ist schon irgendwie eine systemische Schwäche. Eschbach neigt ein wenig dazu, den einen erklärenden Satz zuviel zu schreiben. Exemplarisch etwa "Al-Qaida TM", in der Usama Bin Laden Besuch von einer Bostoner Anwaltskanzlei erhält, die ihm rät, seinen Namen und den seiner Terrororganisation urheberrechtlich schützen zu lassen. Die drastischen Auswirkungen, die dies auf die Berichterstattung über Terroranschläge und damit auch auf deren öffentliche Wirkung hat, zeichnen sich sehr schön ab - da hätte es keine Enthüllung am Schluss gebraucht. Oder "Mutters Blumen", von Eschbach selbst als "Experiment" bezeichnet, weil es den bevorstehenden Weltuntergang aus der Sicht eines geistig Behinderten schildert: Dessen eingeschränkte Perspektive wird durch Anführung von Nachrichten-Spots und ähnlichem leider nicht wirklich eingehalten und wieder wird ausgesprochen, was besser implizit geblieben wäre und dann eine große Geschichte ergeben hätte. Etwas mehr Freiraum könnte den LeserInnen also mitunter eingeräumt werden, die sich - womit wir wieder beim Anfang wären - längst alles zusammengereimt haben. So schwer ist das doch nicht.

Coverfoto: Bastei Lübbe

Ian McDonald: "Necroville"

Broschiert, 494 Seiten, € 9,20, Heyne 2008.

Mit höchst eindrucksvollen Bildern saugt einen der Roman gleich von Beginn weg in einen impressionistischen Strudel hinein: Es ist Morgen im latinisierten Los Angeles des 21. Jahrhunderts, das die "Gringos" in der amerikanischen Völkerwanderung längst verlassen haben. Santiago Columbar entsteigt seinem Body-Trikot, aus dem Flüssigkeit wie Fruchtwasser abgelassen wird - er wird gleichsam in den neuen Tag hineingeboren -, in der Atmosphäre signalisiert eine künstliche Aurora das Ende der Nacht, und Santiago betrachtet von seiner Wohnung aus, wie das Heer der Toten in die Stadt der Lebenden einströmt, um seine Dienstleistungsjobs anzutreten. Ein neuer Arbeitstag im Himmel brach an.

Der Brite Ian McDonald gehört mit Sicherheit zu den interessantesten SF-AutorInnen der letzten 20 Jahre: Schauplätze abseits der vermeintlich die Welt repräsentierenden anglo-amerikanischen Sphäre und soziale Konflikte prägen seine Erzählungen. In "Necroville" hat die Technologie zu einem massiven Einschnitt geführt - denn viel tiefgreifender kann man die Gesellschaft kaum verändern als die Grenzen zwischen Lebenden und Toten aufzuheben. Seit mittlerweile 40 Jahren können Verstorbene in Jesus-Tanks auf nanotechnischem Weg rekonstruiert, bei Bedarf körperlich verändert und mit ihren originalen Erinnerungen, also ihrem alten Ich, versehen werden. Doch Gleichberechtigung wird ihnen nicht gewährt: Jeder hat die Kosten für seine Neuerschaffung mit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten an Dienstleistungen abzuarbeiten. Zwei juristische Präzedenzfälle, die dem Roman als Vorwort vorangestellt sind, regeln ihre (Nicht-)Rechte. Nachts bleiben die Toten in ihren Necrovilles ghettoisiert - doch der demografische Trend spricht für sie: Ein Drittel der Menschheit wird bereits von den Toten gestellt.

Wo Alastair Reynolds ("Ewigkeit") oder Jeff Carlson ("Nano") Nanotechnik zum Ausgangspunkt einer globalen Apokalypse machen, ist die Gemengelage bei McDonald also wesentlich diffiziler. Soll man mit den lebenden ProtagonistInnen des Romans sympathisieren, die ja das diskriminierende Totenhaus-System nicht selbst geschaffen haben (eine Direkt-Übertragung von uns "Erste Welt"-BewohnerInnen in einen neuen Bezugsrahmen) - oder doch eher mit den unterdrückten Toten? Oder gar mit den revoltierenden Freitoten, die draußen im Weltraum neue Körper- und Gesellschaftsformen entwickelt haben und Visionen von einer galaxisweiten Zivilisation in Form einer transhumanen Totenmenschheit zu verwirklichen beginnen? Längst haben sie die als Fleischwürste verachteten Lebenden in gleichem Maße auf der Erde interniert wie diese die nicht-freien Toten in den Necrovilles.

All dies ist der Hintergrund für die Erlebnisse einer Clique von Freunden innerhalb von nur zwei Tagen rund um die Allertotennacht Anfang November: Touissant, rebellischer Sohn des Totenhaus-Erfinders, begegnet Agenten der Freitoten, Anwältin YoYo Mok nimmt sich einer Klientin an, die den Hergang ihrer Ermordung ermitteln will, Künstler Santiago lässt sich in ein gefährliches Jagd- und Tötungsspiel hineinziehen - und der selbst dem Tod geweihte Camaguey wird von einer "Totprostituierten" die Weisheit eines neuen Zeitalters gelehrt. - Auf einer virtuellen Zeitskala tummelt sich der Roman irgendwo am halben Weg zwischen dem Cyberpunk der 80er und den transhumanistischen Visionen von Charles Stross, wobei das Cyberpunk-Erbe sich noch in vielfältiger Weise bemerkbar macht: Von der negativen Grundstimmung einer von corporadas regierten und völlig unübersichtlichen Welt über die surrealen Bilderwelten des globalen CompuNetzwerks und die als schlaglichtartige Impressionen beschriebenen Handlungssequenzen bis hin zu einer Fülle von Neologismen hispanischer oder informationstechnologischer Herkunft (vor allem im ersten Kapitel würde man sich des öfteren ein Glossar wünschen). - "Necroville" überwindet dieses Erbe jedoch, indem es klar macht, dass die beschriebene Gesellschaft keinen ausweglosen Entwicklungsstand darstellt, sondern in etwas Neues transformiert werden wird.

Beiseit: Mit Sicherheit ist es kein Zufall, dass "Necroville", im Original schon 1994 erschienen, nicht nur im selben Jahr und vom selben Verlag herausgegeben wird wie "Tristopolis" (zu dessen Fortsetzung siehe die nächste Seite), sondern auch mit einer ähnlichen Aufmachung aufwartet. Parallelen zwischen den beiden "Totenstadt"-Romanen gibt es allerdings nur an der Oberfläche - tatsächlich unterscheiden sie sich grundlegend. Eines haben sie aber wirklich gemeinsam: Beide bieten hervorragenden Lesestoff.

Coverfoto: Heyne

John Meaney: "Tristopolis. Dunkles Blut"

Broschiert, 524 Seiten, € 9,20, Heyne 2008.

Zwei gute Nachrichten zu Beginn. Für LeserInnen von Teil 1: Die Fortsetzung hält das Niveau des ersten Romans; nur der Überraschungseffekt des einzigartig bizarren Settings ist naturgemäß flöten gegangen. Und für Neueinsteigende: Auch wenn "Dunkles Blut" ("Dark Blood") so unmittelbar an seinen Vorläufer anschließt, dass nicht einmal eine der Nebenfiguren vergessen wurde, findet man sich auch ohne Vorkenntnisse bestens zurecht. (Dennoch an dieser Stelle ein Verweis auf Teil 1.)

Donal Riordan ist weiterhin Polizeiinspektor in Tristopolis, einer modernen Informationsgesellschaft, die jedoch auf Thaumaturgie statt Elektromagnetismus aufgebaut ist: Telefonleitungen sind aus menschlichen Nervenbahnen angelegt, Geister betreiben technische Geräte, Banshees fungieren als tragbare Detektoren und Golems als Lastroboter - und der Allzeit-Block nutzt einen Effekt, der der Quantenverschränkung entspricht. Eines hat sich für Donal aber geändert: Er ist nun ein Zombie und in seiner Brust schlägt ein schwarzes Herz, das regelmäßig aufgeladen werden muss. Und zwar nicht irgendein Herz, sondern das seiner ehemaligen Vorgesetzten und Geliebten Laura, die in Teil 1 endgültig getötet wurde. Für Donal stellt sich nun eine doppelte Ich-Frage: Wer bin ich bzw. wieviel Anteil Lauras trage ich in meiner Persönlichkeit ... und was bin ich? Wirklich noch ein Mensch?

... und es ist keine günstige Zeit für solche Fragen, denn in Tristopolis geht der Faschismus um: Die Einheitspartei macht die Verachtung gegenüber Nichtmenschen - von Untoten über andere Spezies und Geister bis hin zu lebenden Möbeln - in den höchsten Kreisen der Gesellschaft salonfähig, in den Straßen finden Pogrome statt. Donal, der schon als "echter Mensch" alle Lebensformen als gleichwertig behandelte, kämpft mit anderen demokratisch Gesinnten gegen diese Entwicklungen an; inzwischen ist er allerdings selbst von Diskriminierung betroffen.

Mit Verve erzählt - der Schluss ist große Oper! - gewinnt Teil 2 gegenüber seinem Vorläufer dadurch, dass er den politischen Rahmen stärker betont und nicht einfach nur ein Krimi in aberwitzigem Setting ist. Trotzdem strotzt er wieder vor barocken Details: Da fährt ein Wagen knirschend im Gefängnishof vor, dessen "Schotter" aus den Fingerknochen ehemaliger Häftlinge besteht, ein Attentäter hüllt sich in eine Animahaut - ein Kleid aus Fleisch, das selbsttätig einen Menschen imitieren kann-, oder ein zum Tode Verurteilter wird vor Publikum Nervenstrang für Nervenstrang zerlegt; ein Todeskampf von weniger als zwei Stunden wäre eine nachsichtige und ungewöhnliche Gefälligkeit und illegal. - Eine interessante Information wird zwischendurch eingestreut: Der ewig dunkle Himmel über der Stadt hellt sich deshalb nie auf, weil Tristopolis offenbar auf der Nachtseite ihrer Parallel-Erde liegt. Donals Ermittlungen führen ihn bis an die Terminatorlinie - das riecht doch förmlich nach einem dritten Teil, der auf der Lichtseite spielt ...

Coverfoto: Heyne

Alan Dean Foster: "Die Echsenwelt"

Broschiert, 397 Seiten, € 9,20, Bastei Lübbe 2008.

Und nach "Flusswelt" noch einmal willkommene Backlist-Bearbeitung, diesmal bei Bastei und sogar um den erfreulichen Umstand erweitert, dass die betreffenden Titel eine Serie fortsetzen, die auf Deutsch bislang nicht abgeschlossen wurde. - Star-Autor Alan Dean Foster ist vor allem mit zwei Schöpfungen populär geworden: Im Fantasy-Bereich mit dem humorvollen "Bannsänger"-Zyklus um einen verhinderten Rock-Musiker in einer Welt sprechender Tiere (unvergesslich etwa die Don Quixote-Mission des marxistischen Drachen, der gerne die unterdrückten Massen befreien würde, sie aber nur schreiend in die Flucht treibt) und in der Science Fiction mit dem umfangreichen Werk zum "Homanx"-Commonwealth.

Zu diesem Universum des 30. Jahrhunderts gehört auch eine Sonderreihe, welche die Abenteuer von Pip und Flinx umfasst. Der erste Roman um die beiden erschien 1972, danach wurden zwischen anderen Veröffentlichungen laufend weitere eingestreut - und ein neuer Roman ist für 2009 angekündigt. Titelheld Flinx, eigentlich Philip Lynx, hat es gelernt sich als Trickdieb, Hacker und Weltenvagabund durchzuschlagen. Dafür ist er nicht nur mit Selbstverteidigungskräften, sondern auch einer angeborenen empathischen Gabe ausgestattet - die ist zwar (noch) etwas unzuverlässig, bei Begegnungen mit Frauen und anderen Aliens aber doch immer wieder hilfreich. Zugleich beschert sie ihm aber auch Ärger, denn seine Kräfte sind das Ergebnis einstiger genetischer Manipulationen durch die Geheimgesellschaft der Melioraren, die von der mächtigen Vereinigten Kirche unbarmherzig bekämpft wurde; auch ihre "Produkte" müssen unter dieser Verfolgung leiden.

Flinx steht auf der schwierigen Suche nach seiner Herkunft aber nicht allein - genau genommen erhält der charmante Golden Boy sogar immer wieder Unterstützung von allen Seiten. In erster Linie natürlich von seinem weiblichen Mini-Drachen Pip (die beiden ergeben eine Kombination mit nostalgischem Touch; Foster ist eben von der alten Schule), aber beispielsweise - ohne es zu ahnen - auch von der dekorativen Zimmerflora, die auf dem Dschungelplaneten Midworld auf Flinx' Schiff geladen wurde, Teil einer pflanzlichen Kollektivintelligenz ist und in Flinx' Erinnerungen Schreckliches und zugleich den Schlüssel für eine hoffnungsvolle Zukunft spürt.

In "Die Echsenwelt" ("Reunion", 2001) verschlägt es die Gefährten in die Kristallwüste des Planeten Pyrassis, in der sich vermeintliche Oasen-Teiche als im Boden vergrabene Riesenmäuler entpuppen, Bäume es nicht akzeptieren, wenn an ihrer Rinde genagt wird und Foster kurz gesagt wieder einmal jede Menge bunte Kulissen für ein exotisches Abenteuer entwerfen kann. Zum Verständnis nicht notwendig, aber hilfreich ist der vorangegangene "Pip & Flinx"-Roman "Der grüne Tod" ("Mid-Flinx", 1995). Im Februar erschienen, markiert dieser die Wiederaufnahme der Serie, die 1990 im Heyne-Verlag mit "Long Tunnel ("Flinx in Flux", 1988) geendet hatte. Nach "Der grüne Tod" und "Die Echsenwelt" geht es mit dem gerade erst erschienenen "Die Stimme des Nichts" ("Flinx' Folly", 2003) weiter - und auch die restlichen Romane sollen noch in dieser Reihe veröffentlicht werden.

Coverfoto: Bastei Lübbe

Terry Pratchett: "Der Winterschmied"

Broschiert, 379 Seiten, € 9,20, Goldmann 2008.

Jetzt auch als Taschenbuch erschienen (was nicht zu verachten ist, erlaubt es doch im "Billy" den Regalboden um ein Loch zu versetzen, was bei konsequenter Weiterführung Platz für eine zusätzliche Reihe schafft!) ist das dritte "Scheibenwelt"-Abenteuer um Tiffany Weh: Jenes Mädchen, das einst von der Hexensucherin Fräulein Tick den besten pädagogischen Rat erhielt, der jemals in einem Kinderbuch erschien: "Wenn du dir selbst vertraust ..." - "Ja?" - "... und an deine Träume glaubst ..." - "Ja?" - "... und deinem Stern folgst ..." - "Ja?" - "... dann wirst du trotzdem von Leuten übertroffen, die ihre Zeit damit verbringen, hart zu arbeiten und zu lernen und nicht so faul zu sein. Auf Wiedersehen."

Inzwischen ist Tiffany selbst Hexe in Ausbildung, muss zwar noch einen Besen mit Stützrädern fliegen, besitzt aber bereits das Statussymbol schlechthin, das das Verhalten ihrer Umwelt ihr gegenüber entscheidend verändert hat: einen spitzen schwarzen Hut. Aber Tiffany ist auch ein ganz normales 13-jähriges Mädchen, und dem Verbot am Dunklen Moriskentanz teilzunehmen widersetzt sie sich so natürlich und ohne darüber nachzudenken, wie es ihrem Alter entspricht. Das hat Folgen, denn ihr Tanzpartner ist nichts Geringeres als eine jahreszeitliche Naturgewalt - der Winterschmied -, die durch den unerwarteten Kontakt eine Art Bewusstsein zu entwickeln beginnt. Und dieses Bewusstsein hat an Tiffany einen Narren gefressen.

Doch Liebesbekundungen einer Naturgewalt fallen ihrem Wesen entsprechend aus: Im schlimmsten Winter seit Scheibenweltgedenken droht das Land unter Schneewehen aus Flocken in Tiffany-Form zu ersticken.  Dass die Lage wirklich brisant wird, zeigt nicht nur der ungewöhnlich grimmige Romaneinstieg, sondern auch der Auftritt von Pratchetts kompromisslosestem und Ehrfurcht gebietendstem Troubleshooter: Oma Wetterwachs!!! Gemeinsam mit deren sybaritischer Kollegin Nanny Ogg und Tiffanys Schutz- und Plagegeistern, den Wir-sind-die-Größten, stellen sich die Hexen der Verantwortung, die ihr Berufsstand nun einmal mit sich bringt. - Und Pratchett hat einmal mehr Gelegenheit, in Form der Hexen und ihrer auf Tricks (Stichwort Boffo), tiefem Verständnis für das Wesen der Welt und viiiiel praktischem Verstand beruhenden Macht seine Philosophie der lustvollen Entzauberung darzulegen. Es lebe die Vernunft - nichts hat soviel Magie wie sie, auch im x-ten "Scheibenwelt"-Roman bewahrheitet sich dies aufs Schönste.

Und nächsten Monat, in der letzten Rundschau für heuer, wird es unter anderem um den vielleicht besten Kurzgeschichten-Autor seit James Tiptree Jr. gehen - der heuer schon wieder alle wichtigen Preise abgesahnt hat, ein Phänomen. (Josefson)

Coverfoto: Goldmann