Außenministerin Ursula Plassnik sieht die SPÖ bereits in einer Koalition mit der FPÖ - jedenfalls in Sachfragen.

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Standard: Sie kamen als Quereinsteigerin in die Politik. Wie erleben Sie jetzt den Wahlkampf mit den schnellen Slogans und den verkürzten Botschaften?

Plassnik: Ich bin eine parteipolitische Quereinsteigerin. Das ist etwas anderes.

Standard: Und wie geht es Ihnen mit diesen reduzierten Botschaften?

Plassnik: Es gibt Leute, die Freude daran haben, und Leute, die weniger Freude damit haben. Es ist eine Phase in der Demokratie, die altbekannt ist. Sie gehört eben dazu.

Standard: Wie empfinden Sie es?

Plassnik: Jemandem, der differenziert argumentiert, kommt diese Situation nicht entgegen. Aber es muss auch Teil der politischen Arbeit sein, damit umzugehen.

Standard: Sie haben ja durchaus mit komplexen Materien zu tun, die schwer zu kommunizieren sind.

Plassnik: Da passiert einiges in diesem Wahlkampf, was in dieser Form bisher noch nicht passiert ist.

Standard: Wie gehen Sie damit um?

Plassnik: Ich wehre mich, so gut ich kann gegen die Vereinfacher. Indem ich offenlege, um welche Botschaften, um welche Anliegen es geht. Nehmen Sie das EU-Thema. Da ist offenbar eine neue Art von EU-kritischem Bündnis geschlossen worden: Ein wichtiges Massenmedium macht gemeinsame Sache mit dem neuen Chef des Koalitionspartners. Das hat es in dieser Form noch nicht gegeben. Differenzierende Argumentation wird da sehr schwierig. Dem kann man nur entgegentreten, indem man hartnäckig versucht, diese Muster offenzulegen. Das versuche ich.

Standard: Die "Kronen Zeitung" bezieht ja deutlich Position: gegen Sie und gegen die Volkspartei.

Plassnik: Hier muss man präzise argumentieren. Und sehr aufpassen: Da wird ja versucht, den Spieß umzudrehen. Das ist schon eine abenteuerliche Form der Vorgangsweise, wie aus dem Kopfstand der SPÖ in der EU-Frage plötzlich ein EU-Kniefall der ÖVP gemacht werden soll. Das läuft relativ unbemerkt in Österreich und wird nicht wahrgenommen als das, was es ist. Nämlich grobe Irreführung und grobe Manipulation.

Standard: Hatten Sie nach dem Brief von Gusenbauer und Faymann an die "Krone" noch einmal Kontakt mit Hans Dichand?

Plassnik: Ich habe versucht, Herrn Dichand dazu zu bewegen, auch meinen Leserbrief in vollem Umfang abzudrucken. Denn nur die Hälfte davon wurde den Lesern zugemutet. Ich habe das auch entsprechend mit drei Argumenten unterstützt, als Fairness gegenüber den eigenen Lesern, aus grundsätzlicher journalistischer Informationsverantwortung und auch persönlich als Frage des Selbstrespekts, dass man, wenn jemand kritisch seine Stimme erhebt, wenigstens den Mut hat, diese Stimme zuzulassen oder diese Meinung zur Gänze entsprechend abzudrucken. Das war für den Herrn Herausgeber bei Gusenbauer und Faymann kein Problem, bei meinem Brief offenbar doch. Ich bin damit nicht erfolgreich gewesen, es gibt immer noch eine Hälfte meines Briefes an Hans Dichand, die den Lesern vorenthalten wurde.

Standard: Wie bringt man das Thema EU kurzgefasst den Leuten bei einer Wahlveranstaltung nahe?

Plassnik: Ich bin die Letzte, die eine Auseinandersetzung mit Sachfragen scheut oder ihr ausweicht. Ich bin gewohnt, mit Menschen und ihren unterschiedlichen Meinungen zu Sachthemen umzugehen. Meine Erfahrung ist - das sage ich durchaus auch gerade aus Kärnten kommend -, dass die Menschen sich sehr wohl ein Bild machen. Nicht als EU-Experten, sie sind ja auch nicht gezwungen, EU-Experten zu werden, um diese Themen zu beurteilen, aber doch mit Augenmaß und Hausverstand. Ich sehe das in Kärnten, wo es auch politische Kräfte gibt, die den Kärtnern weismachen wollen, dass die beste Zukunftsvariante für sie der Freistaat Kärnten wäre. Und wo die Menschen natürlich in Wirklichkeit wissen: Dem ist schlicht nicht so. Dieses neue Europa bringt auch für sie viele neue Chancen und Möglichkeiten, sie erleben es ja jeden Tag hautnah. Da lassen sich die Leute kein X für ein U vormachen. Wenn allerdings sich eine Zeitung mit einer Partei der Mitte verbündet, und das sehen wir ja jeden Tag, dann kann das die Leute verunsichern. Vor allem diejenigen, die sich nicht selbst ein Bild machen können. Jetzt geht es schon um eine weitere demokratiepolitisch relevante Frage: Wer gibt den Ton an, wer schreibt die Partitur in der EU-Politik? Da geht es nicht nur um Europa, jetzt geht es darum: Wird die Kronen Zeitung in Österreich titeln können "Wir sind Regierung" ?

Standard: Bei der Sondersitzung am Mittwoch wird die SPÖ einem Antrag der FPÖ zustimmen, mit dem sich Österreich verpflichten würde, bei wichtigen EU-Vertragsänderungen eine Volksabstimmung durchzuführen.

Plassnik: Es hat mich überrascht, dass dieses Thema so wenig Aufmerksamkeit gefunden hat. Denn Faymann wiederholt ja gebetsmühlenartig, keinen Tag mit Strache eine Koalition zu wollen. Braucht er ja auch nicht. Solange die Koalition in Sachfragen funktioniert wie beim letzten Mal und wie sie wohl auch am Mittwoch funktionieren wird. Parlamentarische Mehrheiten zählen. Das ist der entscheidende Punkt.

Standard: Im Wahlkampf funktioniert eben das freie Spiel der Kräfte.

Plassnik: Hier wurde die Rechnung angestellt, die Schubkraft der Krone im EU-skeptischen Wählersegment zu nutzen. Und da funktioniert eine rot-blaue Koalition.

Standard: Halten Sie es für möglich, dass dieses Thema wahlentscheidend ist?

Plassnik: Es gibt unterschiedliche Ansichten darüber, ob diese Konstellation in der Lage ist, wirklich etwas zu bewegen. Bis jetzt wurde diese Konstellation immer massiv abgelehnt, jetzt wird sie vom Leserbriefschreiben auf die Ebene des Parlaments geschoben. Es ist demokratiepolitisch schon ein Unterschied, ob ich eine Unterwerfungsgeste gegenüber einem Medienmogul leiste, selbst wenn ich Bundeskanzler der Republik Österreich bin, oder ob ich im Parlament, in der österreichischen Volksvertretung, einen Antrag auf Verfassungsänderung unterstütze, den H.-C. Strache eingebracht hat. Ich halte von diesem Antrag schlicht und einfach nichts, er ist in der Sache nicht zielführend und nicht im Interesse Österreichs.

Standard: Die SPÖ argumentiert, sie fürchtet sich nicht vor einer Volksabstimmung, dem müsse man sich nur stellen.

Plassnik: Eine Volksabstimmungen bringt in der Sache ja keine Lösung. Schon gar nicht kann Österreich ein Interesse daran haben, sich in eine neonationalistische Ecke zu stellen, indem man von vornherein Volksabstimmungen zu bestimmten Themen verfassungsmäßig ohne Not einführt. Das ist eine differenzierte Argumentation, und Sie haben schon recht: Das in Zeiten der Aufgeregtheit rüberzubringen ist mühsam. Aber es ist notwendig, auch in diesem Punkt seine Stimme zu erheben. Es kann nicht so sein, dass einfach alle Vernunft über Bord geworfen wird.

Standard: Gestehen Sie der SPÖ hier eine Art Meinungsbildungsprozess zum Thema von EU-Volksabstimmungen zu, oder glauben Sie, dass es letztendlich nur um die Wahl geht?

Plassnik: Wir haben in der Regierung ja oft über diese Themen gesprochen. Und ich habe Seite an Seite mit Alfred Gusenbauer öffentlich auf europäischer Ebene und im österreichischen Parlament argumentiert. Da hat es noch ganz anders geklungen. Alfred Gusenbauer hat eine Woche vor der Unterschrift unter den Lissabonner Vertrag im Dezember gesagt, "ein augenzwinkerndes Bündnis mit Anti-EU-Kräften kann es nicht geben" .

Da hat er offenbar seine Meinung gründlich geändert. Von Werner Faymann kann ich das nicht beurteilen, er hat zu diesen Punkten nie etwas gesagt. Aber es war Regierungslinie. Gusenbauer hat auch gesagt, hinter dem Ruf von FPÖ und BZÖ nach Volksabstimmung verbirgt sich in Wirklichkeit der Wunsch nach einem Nein zum Vertrag von Lissabon. Da hat er zutreffend argumentiert. Ich bin bei meiner Argumentation geblieben, muss mich dafür jetzt entsprechend attackieren lassen. Das ist bedauerlich, das stärkt nicht Österreichs Position, sondern ganz im Gegenteil.

Standard: Ist die ÖVP im Wahlkampf in der Defensive?

Plassnik: Ich sehe das anders. Ich bin und bleibe überzeugt davon, dass man schwierige Zusammenhänge aufzeigen sollte. Es geht nicht nur darum, wer das größere Wahlzuckerl anzubieten hat. Es geht um wichtige Zukunftsfragen. Es kommen rauere Zeiten auf uns zu. In diesen Zeiten werden wir erfahrene Leute brauchen, Leute mit Wirtschaftskompetenz, mit internationaler Erfahrung, mit Standfestigkeit.

Standard: Sie sind Spitzenkandidatin der ÖVP in Kärnten. Wie läuft dort der Wahlkampf?

Plassnik: In Kärnten wahlzukämpfen ist für mich eine spannende Herausforderung. Da geht es zurück zu den Wurzeln, das ist für jeden Menschen auch eine kraftgebende Erfahrung. Gerade als Außen- und Europaminister die regionale Ebene mit meiner Arbeit zu vernetzen bringt ja auch mir Bodenhaftung und Rückkoppelung. Das ist schon ein spannendes Thema, zu sehen wie sich die Dinge verbessern konnten durch dieses neue Europa gerade für ein Bundesland wie Kärnten, das ein bisschen das Gefühl hat, immer wieder im Windschatten der Aufmerksamkeit zu liegen. Da bin ich unterschiedlicher Meinung als Jörg Haider. Kärnten hat sich in dieser gesamteuropäischen Entwicklung behauptet. Kärnten ist Europameister im Abholen von EU-Förderungen, nicht nur im ländlichen Raum, sondern auch bei Projekten im Tourismus, bei Projekten mehrsprachiger Art. Da wird sehr viel getan.

Standard: In diesem Wahlkampf war anlässlich der Mehrwertsteuer-Debatte sehr viel von Luxus und Luxusgütern die Rede. Was ist für Sie Luxus?

Plassnik: Entschleunigung. Dass der Wecker nicht um 5.58 Uhr oder davor läutet. Denn oft ist es davor. Das heißt, weniger straffes Zeitmanagement.

Standard: Gelingt Ihnen das gelegentlich?

Plassnik: Ich bemühe mich sehr darum. Es gelingt nicht oft, aber ich versuche, mir diesen Luxus zu gönnen.

Standard: Wie kann man sich das vorstellen?

Plassnik: Ein Tag ohne Handy und ein Tag ohne Medien.

Standard: Ist das vorstellbar?

Plassnik: Deswegen ist es ja Luxus. Es ist ein rares Gut. Derzeit.

Standard: Aber es gibt es?Plassnik: Stundenweise.

Standard: Also nur stundenweise. Tageweise nicht?

Plassnik: Eigentlich nicht. Weil Sie können als Außenminister auch in Wahlkampfzeiten nicht auf den Ausknopf drücken.

Standard: Und wenn Sie nichts machen, was machen Sie dann?

Plassnik: Schlafen. Nachschlafen. In der Natur sein. Regen spüren und Sonne. (Michael Völker/DER STANDARD Printausgabe, 23. September 2008)