Foto: derStandard.at/Powell

Obama-Fans auf dem Wiener Margaretenplatz

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Warme Kleidung ist angebracht.

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Euro 08 meets Obama 08.

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Nicholas Platzer sorgte für den Link zwischen Critical Mass und den Democrats Abroad.

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Freie Fahrt am Wiener Naschmarkt.

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Gegen die sonore Stimme des grünen Bundessprechers kommt auch die stärkste Fahrradklingel nicht an. Kurz vor fünf, Stoßzeit in Wien: ein sichtlich frierender Alexander Van der Bellen richtet Schlussworte an eine Hundertschaft meist junger Zuhörer am Wiener Naschmarkt, übertragen auf eine Leinwand, die an längst vergangene EM-Zeiten erinnert. Es ist Wahlkampf, Van der Bellen verzieht keine Miene. Und seine Zuhörer merken nichts von der spontanen Manifestation angewandten Klimaschutzes, die sich hinter ihren Rücken auf der gegenüberliegenden Seite des Naschmarkts zuträgt. Dreihundert Fahrradfahrer rollen gemächlich an dem überdimensionalen Van der Bellen vorbei, geschützt von Polizei und mit Transparenten bewehrt, auf denen Dinge wie "Mehr Rad, weniger Auto" stehen. Critical Mass on the Road.

"Hope" am Margaretenplatz

Ein gutes Dutzend der Biker ist aber noch aus einem anderen Grund an diesem kühlen Herbsttag zum Margaretenplatz im fünften Wiener Gemeindebezirk gekommen, wo der eigentümliche Umzug seinen Anfang genommen hat. Die Wiener Abordnung der Democrats Abroad, derzeit Auslandsorganisation der Obama-Unterstützer, ist mit von der Partie und rührt für Barack Obama auf den Straßen Wiens die Werbetrommel. Für ihre Ikone, dessen Antlitz von ihren T-Shirts lächelt, treten sie in die Pedale. Auch wenn das Wetter alles andere als "Hope" aufkommen lässt.

Harold Otto ist einer von ihnen. Der 49-Jährige selbständige Lektor und Doktoratsstudent aus Chicago lebt seit vier Jahren in Wien. Vorher hat er lange Jahre in Ruanda, Burundi und im Kongo verbracht und für Entwicklungshilfeorganisationen gearbeitet. Politisch denkt Otto nicht erst seit gestern. Dass sein Herz auf Seiten der Demokraten schlägt, weiß der Mann mit dem markanten Bart ebenfalls schon lange. "Mich erinnert die Stimmung stark an meine Zeit in Costa Rica, als wir 1984 die Auslandsamerikaner gegen Ronald Reagan mobilisiert haben." Je mehr diese sich in die Diskussion zuhause einmischten, ist Harold Otto überzeugt, desto besser ginge die Wahl für Barack Obama aus. Überhaupt ließe sich die Wiener Fahrraddemo gut mit Obamas Change-Kampagne in den USA vergleichen, meint Otto, während der Fahrradkonvoi den Ring erreicht. "Die Leute warten nicht darauf, dass Politiker für Sie etwas entscheiden. Sie nehmen die Sache selbst in die Hand."

"Wir brauchen einen regime change"

Nach etwa einer halben Stunde hat der zweirädrige Konvoi den ersten Bezirk erreicht. Auf der Kärntner Straße ein weiterer Wahlkampfautritt der Grünen. Passanten zücken Fotohandys, winken den Radfahrern zu und nehmen die Flyer, die Critical Mass-Aktivisten ihnen in voller Fahrt zustecken, erstaunt an. Für Katie Solon, selbst in ein weißes Obama-Shirt gehüllt, geht der atemberaubende Einsatz für Barack Obama über den bloßen Wahlkampf hinaus. "Wir wollen mit unserer Präsenz die Kluft zwischen Europäern und Amerikanern verkleinern", sagt sie und drapiert eine kleine USA-Flagge über die Lenkstange ihres Citybikes. Seit 26 Jahren wohnt Solon in Europa. Seit Obama auch hierzulande bekannt ist, bekäme sie von vielen Österreichern positives Feedback und Motivation, für den Demokraten Werbung zu machen. "Wir brauchen einen regime change in Amerika, es kann so nicht weitergehen". Für dieses Ziel nimmt sie auch den mühsamen Anstieg bei der Mariahilfer Straße in Kauf, wo die bunten Biker erstaunte Blicke von Passanten mit lautstarkem Geklingel quittieren. Jetzt sind auch die versprengten Demokraten gefragt, ihre Botschaft von Hope und Change an die breite Masse zu bringen. Wer am lautesten schreit, gewinnt.

Nicholas Platzer geht mit gutem Beispiel voran. Immer wieder lässt sich der schlaksige 24-Jährige mit seinem schwarzen Fahrrad in der Gruppe zurückfallen, um Zurückgebliebene mit lauten Rufen zum Strampeln zu motivieren. "Rad Rowdies Vienna" steht auf seiner signalgelben Weste. Er hat den Kontakt zwischen Critical Mass und den Wiener Obama-Fans hergestellt. "Radfahren und die Demokraten sind zwei Dinge, an die ich glaube. Obama hat auch die Bedeutung des Fahrradfahrens in einer Rede erwähnt", sagt Platzer, der an der US-Ostküste geboren wurde und seit einigen Jahren eine Streetart-Galerie in der Neubauer Lindengasse betreibt. Seinem Sendungsbewusstsein sind auch die Obama-Shirts geschuldet, wie er nicht ohne Stolz erwähnt. Für Hillary Clinton, so viel steht für Nicholas Platzer fest, hätte er sich nicht so engagiert. "Obama steht auch für einen bestimmten way of life, mit dem ich mich identifizieren kann." Und den er mit seiner Vorliebe für umweltschonende Zweiräder in einer idealen Symbiose sieht. "Es passt einfach perfekt zusammen", sagt er und beschleunigt sein Rad mit drei kräftigen Tritten.

Staus und Stripes

Am Westbahnhof, wo Karl Lueger die Reisenden von einer begrünten Verkehrsinsel am Gürtel aus begrüßt, drehen die Radfahrer drei Ehrenrunden und lassen den Stau der Pendler – wenig klimaschonend – weiter anschwellen. Das Hupkonzert, das sich die Autofahrer trotz zahlreich anwesender Exekutive, nicht nehmen lassen, klingt trotzdem mehr fröhlich denn bedrohlich. Dass sich die US-Demokraten an diesem Abend den Aktivisten von Critical Mass angeschlossen haben, ist aber keineswegs logisch, wie Alec Hager, Sprecher der IG Fahrrad, erklärt. "Das war schon äußerst ungewöhnlich, normalerweise würden Wahlkämpfer sehr schnell verjagt werden." Für Obama habe man eine Ausnahme gemacht, sagt er.

Michael Platzer, Nicholas' Vater, findet das gut. "Wir wollen den Österreichern zeigen, dass nicht alle Amerikaner so denken wie Bush", erklärt er, während er sein Fahrrad den Neubaugürtel bergab rollen lässt. Und natürlich, beeilt er sich anzufügen, ginge es bei all dem Trubel auch darum, Amerikaner dazu zu bewegen, sich als Wähler registrieren zu lassen. Je mehr Wiener Amerikaner ihre Stimme abgeben, desto eher trage der Demokrat Obama den Sieg davon, ist Platzers Landsfrau Katie Solon überzeugt. Die US-Flagge, die sich Solon wie ein Halstuch umgebunden hat, weht im kalten Fahrtwind. Bei der Alser Straße, wo die Stadtbahn hoch über dem Gürtel Halt macht, biegt die kritische Masse samt US-Verstärkung ab. Westwärts nach Hernals, bergauf. Dieser Weg, soviel steht fest, wird kein leichter sein. (Florian Niederndorfer, Martina Powell / derStandard.at, 23.9.2008)