Denkfähige Metaphern: Still aus Siegfried Fruhaufs Installation "Thinking about Movie Making" (1998-2008).

Foto: Galerie Charim

Kinder der 80er Jahre erinnern sich wohl oder übel: Bis zu den Hüften im Wasser wird Frances 'Baby' Houseman wieder und wieder von Johnny Castle in jene Hebefigur gebracht, die dem Traumpaar aus Dirty Dancing schließlich den Sieg beim Tanz-Contest des biederen Ferienressorts einbringt. Um diese kollektive Erinnerung - oder war es vielleicht doch eine Halluzination? - kreist auch Agnes Miesenbergers Video The Dirty Dancing Lift Machine (2006), das bis 4. Oktober in der Charim Galerie Wien zu sehen ist.

Now I've had the time of my life
No I never felt like this before


Als Teil der Werkschau der Linzer Klasse für Experimentelle Gestaltung mit dem Titel Aus Gnade und Verzweiflung. Performative Kulturvermittlung vom Sofa aus dokumentiert das Video einen Wettbewerb, der vor rund zwei Jahren von der Künstlerin am Donauufer in der Nähe von Linz veranstaltet wurde. Der Hebemechanismus einer gemeinsam mit Wolfgang Gratt aus Stahlformrohr gebauten und mit einem lebensgroßen Patrick Swayze geschmückten Apparatur diente dort, am Wasser, sowohl der Überprüfung von Medienredundanzen als auch der Grazie der teilnehmenden PerformerInnen. In der Manier gängiger Fernsehshows wurden diese von einer Jury bewertet.

Das Thema medial vermittelter Alltagskultur als Zündfunken für die künstlerische Idee und die kollektiven Erinnerungen der Generation 30+ ziehen sich durch den gesamten Ausstellungsverlauf. Es wird ein nicht unironisches Bild des Künstlergenies gezeichnet, dessen Existenz bereits vor langer Zeit widerlegt wurde und dem hier - allen Theorien und Absagungen zum Trotz - wieder neu nachgespürt wird. Der Titel der Ausstellung Aus Gnade und Verzweiflung spielt - so die Kuratoren Herbert Lachmayer und Antonia Prochaska - auf die geheimnisvolle Herkunft jener Ideenblitze an, von welchen die KünstlerInnen "aus Gnade" nicht verfehlt wurden.

Yes I swear it's the truth
And I owe it all to you


Ein ähnlicher Ideenblitz wie bei ihrer Tanzmaschine wiederfuhr Miesenberger wohl auch bei der Produktion des Videos Alpenglühen (2008), das ebenfalls in der Galerie zu sehen ist: Weibliche Schreie der Entzückung, männliches Dominanzverhalten und das Röhren eines brunftigen Hirsches aus Schnulzenfilmen der 1950/60er Jahre wurden hier mit DarstellerInnen wie Peter Weck und Uschi Glas zu einen Heimatporno - soft - montiert. Ergänzt wird dieser Exkurs in die Klischees der frühen Nachkriegszeit durch Christina Pavlics Bestickungen mit dem programmatischen Titel XXX (2008). Unter dem Motto "Provinz ist kein Ort, sondern ein Zustand", verfremdet sie das Bild von Heimat, indem sich die liebliche Geste des Stickens mit einer Bohrmaschine auf hölzernen Parkbänken zu einem Gewaltakt an öffentlichem Eigentum und damit wiederum zu einem Durchlöchern der kollektiven Identität entwickelt.

Die Ausstellung Aus Gnade und Verzweiflung zeigt eine Mischung aus Installationen, Malereien, Film, Video, Performances und sonstigen Aktivitäten - wie es sich eben für "experimentelle Gestalter" gehört, die sich selbst zur Diskussion stellen. Marlies Stöger etwa bedient sich der Titel von Konsalik-Romanen und nimmt so pathetische wie vielversprechende Zitate wie etwa "Niemand lebt von seinen Träumen" als Ausgangspunkt für ihre assoziativen Spontan-Hörspiele. Parallel dazu konstruiert das Mitglied der Gruppe ekw 14,90 ihre eigene Identität als Künstlerin in Form von fein säuberlichen Karteikärtchen, die nach Kategorien geordet sind und die Gesamtheit ihres bisherigen künstlerischen Schaffens akribisch dokumentieren.

Cause I've had the time of my life
And I owe it all to you


In der Installation Thinking about Movie-Making (1998-2008) nimmt der Filmemacher Siegfried A. Fruhauf mit der Stopmotion-Animation seines Gehirns und dem gegenüber gestellten Loop Versuch sich an die Idee zu erinnern auf den eigenen Denkprozess Bezug. Er befragt damit die Produktionsbedingungen künstlerischen Schaffens und die Herkunft der künstlerischen Idee mit den medizinischen Bildern einer Gehirntomographie. Der eigene Körper dient auch Martin Music dazu, sich die Rolle des Künstlers im institutionalisierten Kunstbetrieb vorzunehmen: Das Logo des Bundesministeriums für Kunst und Kultur - ein emblematisches .KUNST - ließ er sich als hochoffizielles Insignium in einer 45 Minuten langen Performance auf den Allerwertesten tätowieren. In der Galerie sind sowohl ein Doku-Video des Tätowierens als auch ein lebensgroßer fotografischer Rückenakt des Künstler ausgestellt. Einschreibungen der ganz anderen Art, jedoch ähnlich körperbewusst, durchlebt Katharina Gruzei im Video Dialoge I-IV, das in seiner Ästhetik an die beklemmenden Arbeiten Chris Cunninghams erinnert. Die Künstlerin, die kürzlich das Ö1-Talente-Stipendium erhielt, zeigt extrem verlangsamte und von einem wummernden Ton untermalte Blick-Dialoge zwischen zwei Frauen, die ihren dramturgischen Höhepunkt in einer Ohrfeige haben.

"Sich mit künstlerischen Ideen am Kunstmarkt durchzusetzen, bedeutet, so manche Verzweiflung in Kauf zu nehmen", zeigen sich die Kuratoren gemeinsam mit der Galerie Charim in einem Text zur Ausstellung bewusst. Dass es dabei aber nicht nur auf die Idee ankommt, sondern in erster Linie auch auf die eigene Haltung der Idee gegenüber, beweisen die gezeigten KünstlerInnen wie 'Baby' Houseman in Dirty Dancing und verdienen mit ihrem Balance-Akt die Haltungsnote 9,5 - Yes I swear it's the truth ... (fair, derStandard.at, 21.09.2008)