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Wien-Heimkehrerin Birgit Minichmayr schwebt über die Begehrlichkeiten der Männer triumphal hinweg. Sie erntete verdiente Jubelstürme.

Foto: Reuters/Prammer

Wien - Ein riesenhafter Cupido hat mit den Baumstämmen des Tiroler Hochwalds Mikado gespielt: Kreuz und quer ineinander verkeilt liegen die mächtigen Klötze, die der ingeniöse Bilderfindungskünstler Martin Zehetgruber auf die Bühne des Wiener Akademietheaters geworfen hat. Auf jeweils schmalem Stamm turnen auch die Figuren in Karl Schönherrs Der Weibsteufel: Ein untersetzter Bergbauer (Werner Wölbern) lebt in dem ängstlichen Bewusstsein, seiner jungen, begehrenswerten Frau (Birgit Minichmayr) keine rechte Befriedigung verschaffen zu können.

Was er als Mann offenkundig nicht zu leisten imstande ist, muss er durch den Erhalt und die Anlage von Schmuggelprovisionen wieder wettmachen. Wölbern schlüpft wie ein massiger Troll durch die Ritzen des Stapellagers. Er weiß seiner wie drohend zuwartenden Gemahlin von den Nachstellungen der "Grenzjäger" zu erzählen.

Er rühmt sich seiner Schliche, als ob er, der von Natur aus "Schwächliche", ein Körpergebrechen zu überspielen hätte. In das von Regisseur Martin Kusej balladenhaft streng erzählte Volksstück, das früher bloß nach geharzten Kiefern roch, in dem unerklärt die Angstneurosen blühten, bricht mit äußerster Macht ein für die Figuren unerklärlicher Zustand herein: Sie begehren. Sie erfahren aneinander die Macht, die die Einbildungskraft über sie ausübt.

Kusej, der seine bedeutende theatralische Überwältigungskraft formvollendet zurückgenommen hat, zeigt, wie sich drei Menschen im Namen der Aufrichtigkeit ihre Hinterweltler-Existenzen zurechtlügen und -biegen müssen. Wien-Heimkehrerin Minichmayr rutscht wie eine geschmeidige Gebirgskatze über die Holzpfade. Sie gebraucht das grob geschnitzte Tiroler Schönherr-Deutsch ("Nit!?"), als wäre jedes einzelne Wort ein kleiner, vergifteter Betroffenheitspfeil. Sie spießt die Männer damit auf.

Baumstämme lassen sich aber nicht verbiegen. Der "Grenzjäger" (Nicholas Ofczarek), der eine flackernde Geilheit zunächst in die erstarrte Pose einer grau uniformierten Egger-Lienz-Figur hineinlegt, sitzt und steht und liegt betroffen, von seinem eigenen Verführungscharme wie unter einer Schlammlawine begraben. Er hatte seinen Vorgesetzten geschworen, unter Einsatz seiner Verführungskünste den Verbleib des Schmuggelguts mit Leichtigkeit auszuforschen. Der Gemahl hatte seine Gattin daraufhin gebeten, dem Vertreter der staatlichen Autorität schöne Augen zu machen.

Jeder liebt im anderen dasjenige, was auf ihn selbst zurückfällt: Er oder sie möge begehrt - möge "um seiner selbst willen" geliebt werden! Und Minichmayr kaut nach dem ersten Sturm der Gefühlsverwirrung am Bändchen ihres viel zu luftigen Sommerkleidchens. Sie umwickelt blutige Männerhände mit der erotischen Gewissenhaftigkeit einer viel zu leicht geschürzten Notaufnahmeschwester. Ihr allmählich wachsendes Bewusstsein jener Gewalt, die sie auf Männerherzen ausübt, erzeugt einen bösen, verstörenden Albtraum.

Die Fähigkeit zum Genuss

Kusej, der mit dieser rundum überzeugenden Arbeit den Wiener Schauspielstätten leider Gottes den Rücken kehrt, wirft zwischen die Szenen Blackouts. Er erzählt ohne jeden äußeren Aufwand von der Mündigwerdung einer Frau, die in Minichmayrs moderner Gestalt die Apotheose der Genussfähigkeit verkörpert. Sie ist ein rot flackerndes Irrlicht, das am Sicherungsseil über dem Gezänk der beiden Männer davonschwebt. Sie ist ein Kobold, der, drei Weinflaschen untergefasst, mit Tollheit und Tändelei den fragilen Frieden, den die Männer untereinander gefunden haben, in den Boden tanzt.

Die Botschaft ist verblüffend, und sie erinnert obendrein daran, dass der Tiroler Gebrauchsdramatiker Karl Schönherr aus den Strindberg- und Ibsen-Etüden seine schlagend modernen Schlüsse gezogen haben muss: In der Selbsterkenntnis dieser starken Frau, die nicht mehr "Objekt" sein möchte, liegt das Potenzial, eine rückständige, in dumpfen Männerritualen erstarrte Welt über sich aufzuklären.

Der Mann trägt am Schluss ein Messer im Leib. Der "Täter" (Ofczarek mit seiner zurückgenommensten Leistung seit sehr langer Zeit!) sieht einer Zukunft im Zuchthaus entgegen. Minichmayr ist Lulu, ist Salome - und enthält die potenzielle Sprengkraft für viele weitere, bald zu spielende Rollen. Tosender Jubel für eine - nehmt alles nur in allem! - unvergleichlich gute, schlackenlos schöne Akademietheater-Aufführung. (Ronald Pohl/DER STANDARD, Print-Ausgabe, 15. 9. 2008)