Am Freitag ließ Ursula Plassnik vor ihrem Außenministerium das "Fest der Europafreunde" steigen. Einige tausend Leute kamen, um sich ein Bild zu machen. Normalerweise nichts Besonderes.
Aber in der heißen Phase des Wahlkampfes war dies ein „ganz bewusstes Statement", wie die Ministerin sagte: Es dürfte die bisher einzige Veranstaltung gewesen sein, bei der die EU in der Wahlwerbung ganz in den Vordergrund gerückt wurde.

Ansonsten sind die Parteien bemüht, dieses Thema eher zu verschleiern. Konsequent verhält sich dabei nur die Kronen Zeitung. Kein Tag vergeht, in dem das Blatt nicht auf die angeblich fatalen Folgen der EU-Mitgliedschaft hinweist. Hans Dichand, der der SPÖ deren EU-Schwenk samt Kotau aufgedrückt hat, und der als „Phantompartei" kräftig mitmischt, sagt klar, wo es langgehen soll: in Richtung „raus aus ,dieser EU‘", zurück zum „Europa der Vaterländer" aus den 60er-Jahren.
Die europapolitische Zurückhaltung der Parteien ist so seltsam wie schade: Eigenartig deshalb, weil es ja der EU-Streit von Rot-Schwarz war, an dem die Koalition zerbrach und wegen dem wir jetzt wählen. Man hätte annehmen können, dass die Gretchenfrage „Wie hältst du es mit der Rolle Österreichs in Europa?" zur zentralen Debatte wird.

Schade ist das deshalb, weil die Bürger die Seriosität der Wahlprogramme der Parteien nur dann umfassend beurteilen können, wenn man sie in den bestehenden EU-Rahmen stellt. Was immer sie versprechen, eine Regierung kann ohne engen Konnex zum Kurs Europas keine Entscheidung von auch nur mittlerer Bedeutung treffen.

Es gibt keine politisch oder wirtschaftlich gewichtige Entscheidung mehr, die man im nationalen Alleingang treffen kann. Außer man ändert das wieder, und die EU-Partner stimmen zu. Österreich hat mit dem Binnenmarkt, dem Fall der Grenzen, der Einführung des Euro und der Vergemeinschaftung praktisch aller wichtigen Politiken nur eingeschränkte Souveränität.
Hans Dichand, der 1995 zum „Ja" zur EU aufrief, hat das erkannt. Deshalb tobt er ja. Bei den Parteien scheint ebenfalls eine inhaltliche Umkrempelung stattzufinden. Das Links-rechts-Schema gilt nicht mehr.

Die SPÖ wurde 1994 von Franz Vranitzky auf EU-Kurs gebracht. Kritische Einwände der Gewerkschaften gegen den Euro der „Kapitalisten" wie auch die EU-Erweiterung wurden runtergeschluckt. Unter Werner Faymann schlägt das Pendel zurück. Gusenbauers verhasste Linie einer „solidarischen Hochleistungsgesellschaft in der EU" ist abserviert. Die SPÖ frönt jetzt einem regionalem Isolationismus und der Staatssubvention. Das mag ein Grund sein, warum sie sich immer besser mit der nationalen FPÖ versteht.

Bei den Grünen läuft es umgekehrt: Einst gegen den EU-Beitritt stehen sie heute der ÖVP näher, als sie glauben Die ÖVP ist sich sicherer denn je, dass sie die Europapartei ist, traut sich das aber mit Blick auf die schlechte EU-Stimmung der Bürger nicht so offensiv zu sagen.

Dazwischen ist Jörg Haider, von dem man nie so genau weiß, ob er gegen die
EU ist (im Wahlkampf) oder pragmatisch pro (unter Schwarz-Orange).

Am Streit um die Mehrwertsteuerhalbierung für Lebensmittel und Medikamente lässt sich das ganz gut ablesen. Die ÖVP hält die Gießkannenverteilung von 1,3 Milliarden Euro auch deshalb für falsch, weil das Euro-Land damit seine EU-Hausaufgaben glatt verfehlt: Budgetsanierung, Steuer-, Pensions-, Gesundheitsreform. Die SPÖ setzt auf gefühlte Sozialpolitik. Dazwischen die Kleinparteien.

Europa ist also nur vordergründig kein Thema, aber es wirkt - vielleicht sogar koalitionsentscheidend. (DER STANDARD, Printausgabe, 15.9.2008)