Foto: derStandard.at/beg

Mord und Gewalt gegen Frauen unter dem Deckmantel von "Tradition" und "Ehre" - Monika Pinterits von der Kinder- und Jugendanwaltschaft, Frauenministerin Heidrun Silhavy und Saida Stadler vom Verein Orient Express klären über Zwangsheirat, Genitalverstümmelung und Ehrenmord auf.

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Die neue Publikation des Bundeskanzleramts soll auf Bundes- und Landesebene verteilt werden, beispielsweise in Schulen.

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"Ich bin eine 21-jährige Türkin und vor vier Jahren mit meinem Cousin verheiratet worden. Diese Zwangsehe ist eine 'Vergewaltigung fürs ganze Leben'. Ich habe schon oft an Selbstmord gedacht, denn mein Vater droht, mich und meine Mutter umzubringen, sollte ich an eine Scheidung auch nur denken. Ich will raus aus diesem Leben. Bitte helft mir."

Betretenes Schweigen herrscht im Saal des Bundeskanzleramtes, als Saida Stadler vom Verein Orient Express diese E-Mail einer anonymen Senderin vorliest. "Unser Verein konnte der jungen Frau helfen, sie wurde untergebracht und alles ging gut", meint Stadler.

Zwangsheirat, Ehrenmorde, Steinigungen und Genitalverstümmelung sind Themenbereiche, die im Mittelpunkt der neuen Publikation "tradition und gewalt an frauen" stehen. Diese wurde am Donnerstag von Frauenministerin Heidrun Silhavy, Saida Stadler vom Verein Orient Express und Monika Pinterits von der Kinder- und Jugendanwaltschaft vorgestellt.

"Zwangsheiraten und derartige Gewalt gegen Frauen 'im Namen der Ehre' sind auf Wertvorstellungen von Kulturkreisen zurückzuführen. Ich halte nichts von 'Kulturdelikten' - Gewalt bleibt Gewalt. Und es ist falsch, zu glauben, dass so etwas nur in bestimmten Ländern mit bestimmter Religion passiert. Es kommt nahezu überall vor, auch in Österreich", so Silhavy.

Verschwundene Mädchen

Die neue Publikation soll auf Bundes- und Landesebene in Umlauf gebracht werden. Hauptzielgruppe sind junge Frauen im Alter zwischen vierzehn und zwanzig Jahren.
Zwangsehen sind vor allem im Mittleren Osten, in der Türkei, in Afrika, Kurdistan und im südasiatischen Raum Gang und Gebe. Durch die Migrationsbewegung ist das Thema Zwangheirat aber längst ein europäisches Problem geworden. In ganz Europa gilt die erzwungene Ehe mittlerweile als Gewaltdelikt. Die Opfer können männlich und weiblich sein, meist sind jedoch minderjährige Mädchen betroffen.

"Es kommt vor, dass LehrerInnen nach den Sommerferien Mädchen in ihrer Klasse vermissen, weil diese in das Heimatland ihrer Eltern gebracht worden sind, um dort verheiratet zu werden. Es ist daher wichtig, PädagogInnen entsprechend zu informieren und weiterzubilden", erklärt Pinterits. In den letzten Jahren sei viel geschehen, um dieses Thema zu enttabuisieren, aber "es muss noch mehr passieren". Laut Pinterits braucht es in Österreich mehr gesetzliche Grundlagen, um diesen jungen Frauen eine Chance auf Unabhängigkeit zu geben.

Sie wünscht sich für mögliche Opfer von Zwangsheirat ein eigenes Aufenthaltsrecht, einen stärkeren Zugang zum Arbeitsmarkt sowie die Möglichkeit einer Doppelstaatsbürgerschaft. "Haben sie die österreichische Staatsbürgerschaft, kann man diese Frauen auch leichter schützen. In anderen europäischen Ländern, wie etwa Großbritannien, ist so etwas selbstverständlich. Warum dann nicht in Österreich?"

MigrantInnen in Österreich können nach einem Jahr Aufenthalt eine Arbeitsbewilligung erhalten. Eine quotenfreie Beschäftigungsbewilligung ist aber auch schon früher möglich - etwa, wenn eine Frau Opfer von Gewalt wurde und Anzeige erstattet hat. "Es ist wichtig, dass Migrantinnen versuchen, von diesem Recht Gebrauch zu machen", betont die Frauenministerin. Denn durch die Chance auf ein eigenes Einkommen können die Frauen sich von ihrem Mann und ihrer Familie unabhängig machen.

Mehr Schutzzentren nötig

Frauen in Wien, die die Flucht aus der Zwangsehe und vor häuslicher Gewalt wagen, können im Frauenhaus und in Krisenzentren Schutz finden. Der "sichere Hafen" ist damit aber noch nicht erreicht. "Die Adressen der Krisenzentren sind öffentlich bekannt. Familien, die ihre Tochter wieder zurückholen wollen, können in wenigen Stunden ihren Aufenthalt ausmachen", meint Pinterits.

Es wäre daher nötig, mehr spezielle Schutzzentren zur Verfügung stellen zu können. "Bundesweit gibt es keine Schutzeinrichtung für Opfer von Zwangsheirat", kritisiert Stadler. Dabei wäre Bedarf da: Im Jahr 2005 baten 26 Klientinnen beim Verein Orient Express um Hilfe, 2008 waren es schon 44. "Frauenhäuser sind nur eine vorübergehende Lösung. Denn ein für solche Fälle geschultes Personal gibt es dort nicht. Dabei brauchen gerade minderjährige Mädchen rund um die Uhr Betreuung, um so ein Trauma verarbeiten zu können", findet Stadler. Eine Flucht vor Ehemann und dem Elternhaus bedeutet für die jungen Frauen meist auch ein Bruch mit der Familie. "Mit Schutz allein ist es nicht getan. Für viele Mädchen ist es sehr schwierig, ihre Familie völlig zu verlieren. Nicht selten gehen einige daher auch zurück. Umso wichtiger ist eine richtige Betreuung."

Kein Mitleid, sondern Unterstützung

Um den Schutz solcher Gewaltopfer zu verbessern, soll das so genannte "Gewaltschutzpaket Zwei" in Kraft treten. Dazu die Frauenministerin: "Mein Appell an Kanzler und Vizekanzler ist, dass es möglich sein sollte, das Paket noch in dieser Regierungsperiode umzusetzen."

Das "Gewaltschutzpaket Zwei" soll unter anderem einen Vorschuss auf Schmerzensgeld für Gewaltopfer enthalten und es sollen mehr Notunterkünfte für betroffene Frauen geschaffen werden.

"Wir stehen erst am Anfang", meint Silhavy. "Die Betroffenen brauchen nämlich kein Mitleid, sie brauchen unsere Unterstützung." (Amina Beganovic, dieStandard.at, 11.9.2008)