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Der demokratische Präsidentschaftskandidat Barack Obama ist bereits eine Ikone: Nicht nur wird er in einer an Martin Luther King erinnernden Weise stilisiert - der Slogan "HOPE" wurde auch schon als Verulkung zu "DOPE" und "SNOB" abgeändert.

Foto: AP/Kevork Djansezian

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Das Foto "Migrant Mother" von 1936 steht für die Armut während der Depression.

Foto: APA/Dorothea Lange

Madonna, Cowboys und Micky Maus oder die einstürzenden Twin Towers: Das sind nur einige der Bilder, die in uns auftauchen, wenn von Amerika die Rede ist. Ikonen, die aus der laufend produzierten Bilderflut in den Alltag von Millionen Menschen eindringen. Denn Bilder prägen unser inneres und äußeres Leben in einem Ausmaß, das den meisten Menschen nicht ansatzweise bewusst ist.

Was aber macht ein Bild zur Ikone? Eine Frage, mit der sich der Grazer Amerikanist Klaus Rieser beschäftigt. Die verstärkte Hinwendung zum Bild als eigenständigem Forschungsgebiet der Kulturwissenschaft erfolgte erst in den letzten Jahren: "Im 20. Jahrhundert stand vor allem die Sprache im Vordergrund - Methoden der Textanalyse wurden auf alle kulturellen Phänomene angewandt" , stellt der Wissenschafter fest. "Zurzeit vollzieht sich in der Forschung jedoch eine Art ,pictural turn‘, indem man über die Alltagskulturforschung - in der ja Filme, Soap-Operas, Werbung etc. eine zentrale Rolle spielen - verstärkt auf das Visuelle eingeht."

Ikonen bewegen sich, so Rieser, "im Grenzbereich zwischen Bild und Text, sind gleichzeitig offen und konkret" . Im Gegensatz zu einer Serie beliebiger journalistischer Fotos wirken sie einerseits als Bild, andererseits aber auch über eine stärker definierte Aussage. "Bei Ikonen durchdringt das Bildhafte die abstrakte Ebene des beträchtlich stärker kodifizierten Mediums Sprache." Was das für die Bildung und Wirkung von Ikonen bedeutet, will der Forscher anhand einer Reihe von Paradoxien durchleuchten. So besagt etwa eine dieser für Ikonen charakteristischen Widersprüche, dass sie einerseits für alle Menschen leicht zugänglich sein müssen, indem die Bildinhalte ihrer alltäglichen Erfahrungswelt entstammen. Gleichzeitig müssen Ikonen jedoch aus der Bilderflut herausragen, also etwas ganz Besonderes sein.

Als Beispiel nennt Rieser das praktisch jedem US-Amerikaner bekannte Bild der "Migrant Mother" , das während der Depression 1936 aufgenommen wurde. Das Porträt der verelendeten Wanderarbeiterin mit ihren drei Kindern war dem von Armut geprägten Alltag vieler Menschen nicht allzu fern. Gleichzeitig ragte gerade diese Fotografie über die unzähligen Armutsabbildungen hinaus: "Das Bild ist eine perfekte Komposition: Die Mutter mit ihren drei Kindern erinnert an ein Madonnenbild" , erläutert Klaus Rieser. "Zudem ist es - ohne nachträgliche Bearbeitung - technisch so perfekt wie ein Atelierbild."

Kondensierte Inhalte

Diese Verbindung von Alltäglichem und Herausragendem erfolge über den Prozess der Kondensierung: "Die Komplexität der Inhalte wird so weit reduziert, dass sich damit die unterschiedlichsten und sogar widersprüchliche ideologische und politische Haltungen illustrieren lassen." Damit "funktioniert" dieses Bild für Kritiker von Sozialprogrammen (indem Stärke und Regenerationskraft in den Blick der Frau hineininterpretiert werden) ebenso wie für die Verfechter staatlicher Unterstützungsprogramme, der Revolution oder bloß von Spendenaufrufen. "Hier zeigt sich deutlich die paradoxe Verbindung von Offenheit und klarer Zentrierung auf ein Thema, durch die sich Ikonen auszeichnen" , sagt Klaus Rieser.

Typisch für Ikonen ist auch die Partnerschaft von Ideologie und Demokratie. So passt die "Migrant Mother" perfekt in die Strategie der damaligen US-Regierung, die mit ihrem "New Deal" über eine stärkere staatliche Lenkung der Wirtschaft und Beschäftigungsprogramme die Depression unter Kontrolle bringen wollte. Im Zuge dessen wurden auch Künstler von der Regierung beauftragt, die Armut im ländlichen Amerika zu dokumentieren - so entstand auch die "Migrant Mother" .

Die mittels Ikonen gezielt auf die Gesellschaft wirkenden Werte sind keinesfalls beliebig, "sondern kristallisieren sich aus dem Zusammenspiel der jeweils herrschenden Gruppen und der breiten Masse heraus" , erläutert der Wissenschafter.

Ein spezielles Merkmal von Ikonen ist auch ihre Einladung zum Widerstand durch Verulkung. Ein aktuelles Beispiel sind die zurzeit in den USA kursierenden Obama-Bilder, in denen der bereits zur Ikone gewordene Präsidentschaftskandidat in einer an Martin Luther King gemahnenden Geste - mit schräg nach oben weisendem Blick in die bessere Zukunft - mit den am Originaltext "HOPE" angelehnten Untertiteln "DOPE" und "SNOB" kommentiert wird.

Grundsätzlich seien Ikonen niemals unschuldig, da sie herrschende Normen verstärken, indem sie sich an ihnen orientieren, ist Klaus Rieser überzeugt. "Mit Normen, die in einer Gesellschaft nicht tief genug verankert sind, lassen sich keine Ikonen kreieren." So sei es heute zwar in den USA möglich, dass ein schwarzer Präsidentschaftskandidat zur Ikone wird - ein religionskritischer oder gar atheistischer schwarzer Bewerber wäre dazu allerdings völlig ungeeignet, da Religiosität einen viel zu hohen Stellenwert in der US-amerikanischen Gesellschaft hat. (Doris Griesser/DER STANDARD, Printausgabe, 10.9.2008)