Ragaie William Tadros arbeitete als Zeitungskolporteur in Wien - nun kandidiert er bei der Nationalratswahl

Foto: Beganovic/derStandard.at

Bei der Frage, wie er "Integration" in seinen eigenen Worten definieren würde, huscht ein Lächeln über das Gesicht des gebürtigen Ägypters Ragaie William Tadros. Er nimmt sich für seine Antwort eine kurze Nachdenkpause und blickt schweigend auf seinen Kaffee hinunter. Dann meint er: "Das ist eigentlich nicht schwierig. Es bedeutet, mit der Mentalität eines Landes umgehen zu können. Dass man seine Prinzipien und Gesetze versteht und respektiert. Integration ist keine Einbahnstraße, jeder kann jeden integrieren."

"Christliche Werte"

Als Menschenrechtsaktivist und gläubiger Kopte engagiert Tadros sich schon seit Jahren auf dem Gebiet Immigration und Integration in Österreich sowie für die Rechte der Kopten in Ägypten. Grund genug für die ÖVP, ihn Ende Juli mit an Bord zu holen. Nun tritt er bei den Nationalratswahlen im September als Kandidat der ÖVP-Landesliste Wien an 50. Stelle an. Die Idee, politisch aktiv zu werden, hatte Tadros ohnehin schon seit einiger Zeit. "Mich sprechen die Grundsätze und christlichen Werte der ÖVP an. Ich fühle mich voll und ganz akzeptiert und respektiert in dieser Partei." Für ihn ist diese Kandidatur eine Chance, die Integrationspolitik in Österreich verbessern zu können.

Ein Hindernis für Integration ist seiner Meinung nach die Angst der Menschen, ihre eigenen Werte zu verlieren. Eine unbegründete Angst, wie er findet. "Es ist falsch, sich vor dem Verlust der eigenen Kultur zu fürchten. Angst hemmt nur. Denn man kann die eigenen Werte mit Integration in Einklang bringen. Ich selbst bin ein Beispiel dafür."

Keine Scheu vor Menschen

Der 46-jährige Tadros stammt aus der ägyptischen Stadt Luxor. Mitte der 80er Jahre entschied er sich, seine Heimat zu verlassen. "Man könnte sagen, ich bin ein Weltbürger. Und ich war durstig nach Freiheit und Demokratie. Ich bin sehr stolz auf meine Herkunft - aber irgendwann musste ich einfach raus aus Ägypten." 1991 bekam er die österreichische Staatsbürgerschaft, was er selbst als "großes Glück" bezeichnet. Zu Beginn war es jedoch alles andere als leicht. Trotz abgeschlossenen Wirtschaftsstudiums konnte er in Österreich zunächst nur als Zeitungsverkäufer arbeiten. "So geht es vielen Akademikern, die in ein neues Land kommen. Für mich war es damals eine schwierige Zeit - sie hat mich aber auch stärker gemacht."

Sein Jugendtraum war es, einmal Regisseur in den USA zu werden. Er hatte daher stets eine besondere Beziehung zur Kamera. 1992 gab ihm Kurt Falk, Gründer der "Ganzen Woche" und Mitbegründer der Kronen Zeitung, schließlich den ersten Job als Fotoreporter. Mit großer Ehrfurcht spricht Tadros über Kurt Falk. "Er gab mir eine Chance, für die ich heute noch unendlich dankbar bin."

Von da an war Tadros für verschiedene große Medien als Reporter in aller Welt unterwegs, sei es in Kriegsgebieten oder bei Naturkatastrophen. Auch als Society-Fotograf wurde er bekannt. Diese Jahre waren für Tadros prägend. „Meine Erfahrungen als Reporter haben mir jegliche Scheu vor Menschen genommen. Ich liebe den Kontakt mit Menschen und gehe gerne auf sie zu."

Eine Frage der Organisation

In Sachen Integrationspolitik sieht Tadros hierzulande noch Verbesserungsbedarf. "Gute Immigrations- und Integrationspolitik hängt vor allem von guter Organisation und Regelung ab. Die ist in Österreich noch nicht effizient genug." Tadros fände eine Anlehnung an das kanadische Modell sinnvoll. "Will man nach Kanada immigrieren, muss man zunächst ein Aufnahmeverfahren durchlaufen, das vor allem die Sprachkenntnisse testet. Das halte ich für sehr vernünftig - denn wenn man die Sprache des Landes gar nicht versteht, hat man erst recht Probleme. Man kommt nahezu blind in eine Gesellschaft."

Kanada unterstützt Immigranten mit Kredit, Job und Wohnung, wenn sie es durch das Aufnahmeverfahren schaffen. "Österreich könnte so ein Modell ebenfalls haben, es ist nur eine Frage der Organisation. Alles lässt sich organisieren - wir haben dem Thema bisher nur nicht genügend Aufmerksamkeit geschenkt."

"Man verliert nichts, man gewinnt dazu"

Zum Umgang mit der Thematik im derzeitigen Wahlkampf möchte William Tadros nicht viel sagen. "Ich will nicht über andere Parteien sprechen. Nur soviel: Sowohl im Wahlkampf als auch in manchen Medien wird das Thema Integration alles andere als sensibel behandelt. Das finde ich sehr schade." Den Vorwurf, dass die ÖVP im Wahlkampf laut Kritikern einen immer "rechteren Kurs" fahren soll, verneint Tadros entschieden. "Jeder sagt ‚ das klingt 'rechts', aber niemand definiert genau, was wirklich 'rechts' ist und was nicht. Meine Partei ist lediglich der Auffassung, dass Zuwanderer auch Deutsch können sollten. Ist das denn gleich 'rechts'?"

Zur Verbesserung der österreichischen Integrationspolitik würde William Tadros sich außerdem eineN MinisterIn oder StaatssekretärIn für Integration wünschen. Für den Anfang würde aber mehr Aufklärungsarbeit seitens der Politiker schon reichen, meint er. "Man muss den Menschen klar machen, dass Migration gut für uns ist. Man verliert nichts dabei - im Gegenteil, man kann nur dazu gewinnen. Die Politiker in Österreich klären noch nicht genug auf. Sie müssen den Menschen die Angst nehmen und stärkeres Vertrauen schaffen. Davon profitieren alle."
(Amina Beganovic, derStandard.at, 16.9.2008)