Patienten mit Atemwegsinfekten wollen Antibiotika, obwohl 90 Prozent davon virale Infekte sind, gegen die Antibiotika nichts ausrichten, sagt Helmut Mittermayer und plädiert für mehr Aufklärung.

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 Vor 80 Jahren wurde Penicillin entdeckt. Heute sind die lebensrettenden Antibiotika durch zunehmende Resistenzen in Gefahr, warnt der Mikrobiologe Helmut Mittermayer im Gespräch mit Martin Rümmele.

 

Standard: Was genau ist Penicillin eigentlich?

Mittermayer: Penicillin ist ein Stoffwechselprodukt, das vom Pilz Penicillium gebildet wird, um sich gegen Konkurrenten zu wehren. Es verhindert, dass andere Bakterien wachsen. Es verhindert, dass Bakterien in seiner Umgebung wachsen. Diese Eigenschaft hat sich die Medizin zunutze gemacht.

Standard: Deshalb werden sie auch massiv eingesetzt?

Mittermayer: Antibiotika gehören zu den wichtigsten Errungenschaften der modernen Medizin. Allerdings ist zu beobachten, dass Krankheitserreger zunehmend unempfindlich werden. In einigen Bereichen ist der Anstieg der Resistenzen dramatisch. Damit verlieren wir für schwere Infektionen wichtige Medikamente. Wenn etwa heute ein Patient mit einer schweren Infektion ins Spital kommt, liegt das Risiko, dass die bisherige Standardtherapie nicht mehr wirkt, bereits bei 25 Prozent. Im Jahr 2001 lag es noch bei knapp sieben Prozent.

Standard: Was sind die Gründe für Resistenzen?

Mittermayer: Jedes neue Antibiotikum wird gegen bestimmte Bakterien irgendwann unwirksam, das ist ein Faktum. Es gibt einen eindeutig bewiesenen Zusammenhang zwischen Antibiotika-Verbrauch und dem Anstieg der Re- sistenzen. Weltweit werden etwa 50 Prozent der Antibiotika in der Humanmedizin eingesetzt, der Rest entfällt auf die Landwirtschaft - Tierzucht und Pflanzenschutz. Beide Bereiche beeinflussen die Resistenzen. In Europa wurden deshalb Antibiotika als Leistungsförderer in der Tierzucht bereits verboten, in der Massentierhaltung gibt es sie als Medikament aber nach wie vor. Dazu kommt die Ausbreitung resistenter Erreger durch Übertragungen im Krankenhaus sowie die Verbreitung durch den gestiegenen Reiseverkehr und Migration.

Standard: Schlucken wir zu viele Antibiotika?

Mittermayer: Ja. Die EU startet deshalb heuer erstmals einen Antibiotika-Tag am 18. November, um Aufklärungsarbeit zu leisten. Oft wollen Patienten von ihrem Arzt Antibiotika, gerade bei Atemwegsinfektionen, und viele Ärzte geben dem Druck nach. Rund 90 Prozent der Atemwegsinfektionen sind aber virale Infektionen - da wirken Antibiotika nicht. Dazu kommt, dass die moderne Medizin durch invasive Eingriffe viele Krankheiten, die bis vor kurzem unbehandelbar waren, heilen kann. Dadurch wächst das Infektionsrisiko gerade im Krankenhaus, wo die Zahl resistenter Bakterien massiv ansteigt.

Standard: Sind wir dabei, eine medizinische Waffe zu verlieren?

Mittermayer: So könnte man sagen. Antimikrobielle Resistenz ist ein weltweites Problem. Sie erhöht die Morbidität, die Letalität, und sie begrenzt die therapeutischen Möglichkeiten. Damit verursacht die Resistenz auch Kosten und belastet das Gesundheitssystem.

Standard: Lassen sich diese Kosten beziffern?

Mittermayer: Es gibt zahlreiche Untersuchungen, die alle zu unterschiedlich hohen Mehrkosten kommen. Es gibt eine recht aktuelle Arbeit aus Österreich mit dem Fokus auf dem weit verbreiteten Infektionserreger, Staphylococcus aureus, der etwa bei einem schwachen Immunsystem zu lebensbedrohlichen Erkrankungen wie Lungenentzündung, Endokarditis und Sepsis führen kann. Die Mehrkosten, die allein durch Resistenzen dieses Keimes entstehen, lagen in Österreich laut Studie im Jahr 2005 bei 16,4 bis 35,4 Millionen Euro. Allgemein betrachtet kann ich nur schätzen und denke, dass die Gesamtkosten das Zehn- bis 15-fache ausmachen. Hier braucht es genaue Analysen.

Standard: Und das ist nur der Status quo ...

Mittermayer: Der Anteil der Resistenzen wird in den kommenden Jahren massiv steigen. Wenn die Entwicklungen so weitergehen, wie bisher, kommt es in den nächsten 15 Jahren bei einigen wichtigen Bereichen zu einer Verdoppelung. Neben den genannten Gründen liegt die Ursache auch in der Bevölkerungsentwicklung. Die Menschen werden immer älter, und es gibt immer mehr ältere Menschen. Wir wissen aus allen Studien, dass die Zahl gefährlicher Infektionen und damit auch der AntibiotikaVerbrauch gerade bei älteren Menschen höher ist.

Standard: Lässt sich gegensteuern?

Mittermayer: Das Problem ist allen Verantwortlichen bekannt, und wir organisieren Kampagnen. Ein Problem ist, dass die Arzneimittelindustrie im vergangenen Jahrzehnt wenig in Neuentwicklungen von Antibiotika investiert hat. Pharmafirmen investieren eher in Medikamente für chronische Krankheiten und gegen Krebs. Es gibt einige Substanzen für spezielle Indikationen neu auf dem Markt, für den enorm wichtigen Bereich der gramnegativen und für polymikrobiellen Infektionen sind aber keine Neuigkeiten in der Pipeline. Wir müssen also alles tun, um die Wirksamkeit der vorhandenen Antibiotika zu bewahren, und dazu gehört der sorgsame Umgang. Aufklärung ist enorm wichtig. (Martin Rümmele,Medstandard, 8.9.2008)