Jackson Janes ist ein besonnener Mann. Bevor er spricht, hält er inne, wägt ab. Dann aber lässt er nichts an Deutlichkeit vermissen: "Sarah Palin zur Vizepräsidentschaftskandidatin zu machen ist die opportunistischste und zynischste politische Entscheidung, die ich seit langem gesehen habe. Und ich fürchte, das Kalkül wird aufgehen."

Janes, der Chef des American Institute for Contemporary German Studies an der Johns-Hopkins-Universität in Washington, ist eine Art Übersetzer zwischen den politischen Kulturen der USA und der deutschsprachigen Länder. Manchmal muss er auch zwischen Regionen der USA übersetzen. "Wir sitzen hier in D.C., aber das ist nicht wichtig. Was zählt, sind Michigan, Indiana oder Pennsylvania. Aus John McCains Sicht war es taktisch und strategisch klug, diese Waffe zu aktivieren." Mit einem Mann auf seinem Ticket hätte er keine Chance gehabt. "Palin auszuwählen war ein kalkuliertes Risiko, um Evangelikale und Landbevölkerung - Gebete und Gewehre sozusagen - als Wählergruppen zu aktivieren."

Wie bei vergangenen Wahlen geht es für Janes am 4. November einmal mehr um die Wahlbeteiligung. Die Evangelikalen würden Palin die Schwangerschaft ihrer minderjährigen Tochter und diverse andere Gerüchte verzeihen, weil die Gouverneurin von Alaska für wichtigere Themen stehe: Sie ist gegen Abtreibung und Homo-Ehe, für den Unterricht von Intelligent Design in den Schulen, und sie kann auch schießen: "Wir befinden uns beinahe wieder in einer Wertedebatte wie im Jahr 2001."

Versucht McCain, sich als eine vereinigende Kraft zu präsentieren, wirkt Palin in dieser Debatte als Symbolfigur der Spaltung. Janes: "In den vergangenen Jahren haben sich die Wähler immer mehr für Persönlichkeiten als für Programme entschieden. Die Republikaner bedienen das nun sehr gut."

Entschieden werden die Wahlen für Janes durch drei Momente: die Persönlichkeit der Kandidaten, durch Erfahrung und schließlich durch unerwartete Ereignisse in den USA wie außerhalb. "Die Umfragen jetzt sind in dem Prozess irrelevant. Was zählt, sind vor allem die TV-Debatten, besonders die erste zwischen Obama und McCain und auch jene zwischen Palin und Joe Biden." Viele Wähler würden in den kommenden vier Wochen ihre Entscheidung treffen. Palin müsse sich in dieser Phase gut schlagen, dann hätten die Republikaner gute Chancen. (Christoph Prantner aus Washington/DER STANDARD, Printausgabe, 4.9.2008)