Die Bauchtanztruppe Tribal Attitude tanzte mit Körben und Schwertern bei Venus Envy.

Melissa Coulter

Im Naturhistorischen Museum Wien in einer kleinen, dunklen Hütte wohnt die Venus von Willendorf. Eine Bärenhaut schützt den Eingang vor Sonnenlicht. Der Schädel eines Elchs sichert sie gegen Eindringlinge ab. Die 25.000-jährige Frau steht ruhig und stolz auf einem kleinen Podest im Rampenlicht.

Vor 100 Jahren wurde diese Kalkstein-Diva in Willendorf am Ufer der Donau gefunden. Während sie ihren Jahrestag begeht, feierten andere Frauen ihr eigenes Jubiläum. Venus Envy, eine jährliche Frauenkunstausstellung, wurde vor zehn Jahren in St. Louis, Missouri, am Fluss Mississippi gegründet. Das Symbol des Fests ist die Venus von Willendorf, weil sie wie eine echte Frau - eine Erdmutter - aussieht. Die ausladenden Brüste und der Bauch der Statue stellen unseren eigenen Begriff des weibliches Körpers in Frage.

Schwesterkünstlerinnen

Jedes Jahr versuchen Künstlerinnen, Musikerinnen, Schauspielerinnen, Filmemacherinnen, Tänzerinnen und andere kreative Frauen eine Aussage über die Weiblichkeit zu machen. Sie feiern mit ihren Schwestern in St. Louis und drei weiteren Städten am Mississippi: Baton Rouge, Louisiana, Memphis, Tennessee, und Davenport, Iowa.

In Davenport traten am 3. Mai mehr als eintausend Leute im Bucktown Center for the Arts auf, um am großen Freudenfest der weiblichen Schöpfungskraft teilzunehmen. Sie beklatschten die Balletttänzerinnen, wackelten zusammen mit den Bauchtänzerinnen mit den Hüften und sangen gemeinsam mit dem Frauenchor, Hersong. Zu bestaunen gab es überdies Skulpturen, Malerei, Fotografie, Installationen und handgefertigten Schmuck der 45 Künstlerinnen aus Iowa, Illinois und Wisconsin.

Fenster zum Leben

"Venus Envy ist ein Fest, das die Künstlerinnen in den Vordergrund stellt, aber auch die Männer sind dazu eingeladen, Venus Envy zu besuchen", sagte Rachael Mullins, die Vorstandsvorsitzende. "Lacht, tanzt, seid inspiriert, und unterhaltet euch fabelhaft - das ist Venus Envy." So, wie uns die Venus von Willendorf einen Einblick in die paläolithische Kultur ermöglicht, ist Venus Envy ein Fenster zum Leben der modernen Frauen geworden. Die Künstlerinnen versuchen die Stereotypen nicht zu dekonstruieren, aber zu untersuchen. "Mit jedem Gemälde versuche ich die Verbindung zwischen meinem Körper und der Natur zu finden", sagte Jamie Elizabeth Hudrlik, Künstlerin aus Iowa City.

Auch werden die verschiedenen Rollen, die Frauen spielen, untersucht. "Die Schichten meines Kunstwerks reflektieren die Schichten meines Wesens: Mutter, Tochter, Ehefrau, Künstlerin, Lehrerin, Freundin, Schwester, Menschenkind", erläuterte Zaiga Thorson, Künstlerin aus Rock Island, Illinois. (Melissa Coulter, dieStandard.at, 6.9.2008)