Mit dem EU-Sondergipfel zum russisch-georgischen Konflikt befasst sich am Dienstag die internationale Presse:

"Neue Zürcher Zeitung" (NZZ):

"Das Schlussdokument des Sondergipfels ist ein typischer EU-Kompromiss, der sowohl die harschen Kritiker Russlands aus den neueren Mitgliedstaaten, aus Großbritannien und aus den nordischen Staaten zufriedenstellt, als auch jene Staaten, die sich wie Deutschland, Frankreich und Italien traditionell für Verständigung und Partnerschaft mit Russland einsetzen. Gemeinsam ist allen eine tiefe Sorge über das jüngste Auftreten der Führung in Moskau und die Entschlossenheit, keine Politik der 'Einflusssphären' mehr zuzulassen - oder wie es Präsident Sarkozy prägnant formulierte: 'Eine neue Teilung Europas ist inakzeptabel; Jalta ist Vergangenheit'".

"The Independent" (London):

"Für Russland lautet die Botschaft aus Brüssel, dass die Beziehungen an einem Scheideweg angekommen sind und dass Moskau die Wahl zwischen der Achtung seiner Verpflichtungen oder einer Isolierung hat. Aus den widersprüchlichen Signalen aus Moskau kann ein Wunsch herausgefiltert werden, die Beziehungen zum Westen nicht weiter verschlechtern zu lassen. Die EU hat mit ihrem Beschluss, die Verhandlungen über eine neue russisch-europäische Partnerschaft aufzuschieben, dem Kreml eine Chance gegeben, zu beweisen, dass ihm auch an der Rettung der Beziehungen zum Westen liegt."

"La Repubblica" (Rom)

"Der Kreml grub noch einmal das alte (biblische) Prinzip 'Auge um Auge, Zahn um Zahn' aus. Es ist Präsident Dmitri Medwedew, der ankündigt, das Russland niemals seine Entscheidungen überdenken und die Anerkennung Abchasiens und Südossetiens widerrufen wird. Im Gegenteil, Russland wird den beiden von Georgien abtrünnigen Republiken auch 'militärische, wirtschaftliche, soziale und humanitäre Hilfe' zukommen lassen, falls dies nötig sein sollte. Dann war Putin an der Reihe. Und dieses Mal hat er die Spannung abgebaut. Europa sagt er: Bleib ruhig, keine Angst, wir werden die Energielieferungen nicht einschränken. Denn, was die Russen wirklich wollen, ist diesen Streit mit Europa so schnell wie möglich zu beenden, weil dies beiden Seiten zugutekommt..."

"Les Dernières Nouvelles d'Alsace" (DNA) (Straßburg):

"Der Aufschub der Verhandlungen über eine verstärkte Partnerschaft mit Russland ist in erster Linie eine symbolische Maßnahme. Diese Verhandlungen sind schon im vergangenen Jahr wegen eines russisch-polnischen Streits um den Fleischhandel mehrfach aufgeschoben worden, ohne Unruhe hervorzurufen. Letztendlich hält der Kreml die Karten in der Hand. Die gegenseitige Abhängigkeit zwischen Russland und Europa ist eine Tatsache und geht über Öl und Gas hinaus. Das weiß man in Moskau ebenso gut wie in den europäischen Hauptstädten, ausgenommen vielleicht in Warschau".

"Rzeczpospolita" (Warschau)

"Da die scharfe Reaktion des Westens jetzt, direkt nach der russischen Machtdemonstration und Arroganz, ausgeblieben ist, wird es künftig noch schwieriger sein, sich für entschlossene Gesten zu entscheiden. Viele westliche Politiker meinen, dass es unvernünftig wäre, Russland an den Pranger zu stellen. Aus der Sicht der Staaten Mittel- und Osteuropas ist das aber eine gefährliche Unterlassung. Der Kreml sieht es als ein Zeichen dafür an, dass die EU zerstritten und schwach ist. Russland kam ungestraft davon, trotz seinen Drohungen mit der Erdölwaffe. (...) Möge die Passivität des Westens den Kreml nicht dazu ermuntern, jetzt den Streit mit der Ukraine über die Krim anzuzetteln."

"El País" (Madrid)

"Der Sondergipfel ist ein zweischneidiges Schwert. Das Auftreten von Differenzen zwischen den EU-Staaten wird sofort zu einem Erfolg für Russland, das im Kaukasus auf eine Politik der vollendeten Tatsachen setzt. Schon im Vorfeld des Gipfels stellte die EU sich nicht gerade geschickt an. Die Debatte über mögliche Sanktionen weckte Erwartungen, die kaum erfüllt werden können. Der Kaukasus-Konflikt beweist, dass die EU eine neue Strategie in ihrer Russland-Politik benötigt. Das bisherige Modell ist ein Ergebnis von Improvisation. Moskau versteht es, sich in der EU die jeweils passenden Gesprächspartner auszusuchen. Auch ohne den Georgien-Konflikt hätte die EU längst eine gemeinsame Linie in der Russland-Politik festlegen müssen."

"Trouw" (Amsterdam):

"Das Bekenntnis zu einer gemeinsamen transatlantischen Bündnispolitik ist natürlich richtig und angemessen, doch wenn andere von diesem Weg abweichen, ist am Horizont bereits Desintegration zu erkennen. Der deutsche Ex-Außenminister Hans-Dietrich Genscher hat neulich darauf hingewiesen, dass Amerika und Polen zwar allein die Errichtung eines Raketenabwehrsystems an der Grenze zu Russland beschließen können, die Folgen davon jedoch alle Europäer zu tragen haben werden. Er wollte damit sagen, dass Europa sich in der Welt nur dann durchsetzen kann, wenn es geeint auftritt und gemeinsam mit den USA vorgeht."

"General-Anzeiger" (Bonn):

"Wo platziert sich die Union angesichts der Verschiebungen im internationalen politischen Koordinatensystem zwischen Moskau und Washington? Sind Gas und Öl das 'Blut', aus dem künftige Freundschaften und Allianzen gestrickt sind? Wenn es noch eines Beweises für die überfällige Reform der EU zu einem politischen Riesen bedurft hätte, dann liegt er jetzt vor..."

 

 

"Nepszabadsag" (Budapest):

"Wenn dieser Konflikt in einen Abbruch der vielfältigen Beziehungen zu Russland münden würde, fände die Mehrheit dies mindestens ebenso 'unverhältnismäßig' wie die EU-Mitgliedsstaaten - ohne Ausnahme - die russische Vergeltung des georgischen Angriffs auf Südossetien empfinden. (...) Im übrigen kann die Tatsache, dass die EU seit dem furchtbaren Angriff auf New York vom 11. September 2001 jetzt zum ersten Mal wieder ein Sondergipfeltreffen abgehalten hat, ebenfalls als Irrtum hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit gelten, wenn man die russischen Schritte im Kaukasus nicht mit ebenso viel Argwohn beurteilt wie vormals Breschnews Invasion in Afghanistan. Wenn doch, dann ist Georgien wirklich der Lackmustest unseres Bedrohungsgrads."

"Gazeta Wyborcza" (Warschau):

"Das alte Europa schaut jetzt auf Russland auch mit dem zweiten, 'östlichen' Auge. Russland hat es bisher gut verstanden, die Unterschiede zwischen den EU-Partnern auszuspielen. Die Russen sprachen mit den Starken: Deutschland, Italien oder Frankreich. Sie ignorierten die kleineren Staaten wie Polen oder die baltischen Staaten und warfen ihnen krankhafte Russenfeindlichkeit vor. Die Großen sahen in Russland einen Handelspartner, Energielieferer und eine Weltmacht, die Europa in Afrika, Afghanistan oder im Ringen mit dem Iran helfen kann (und hilft). Wir, die Völker hinter dem ehemaligen Eisernen Vorhang, sahen das anders. Russland stellt für uns die Gefahr einer Erpressung mit Raketen und eines Handelsembargos dar. (...) Mit dem Einmarsch in Georgien zeigte sich Russland dem Westen von der schlimmsten Seite, an die in Berlin oder Paris kaum jemand glaubte. Jetzt glauben sie..."

"Vecer" (Maribor/Marburg):

"Der EU-Gipfel ist ein schmerzhafter Hinweis auf die Machtlosigkeit der Europäischen Union. Wenn es vielen bereits vor dem Treffen klar war, dass es sich lediglich um eine Machtvorführung handeln wird, hat sich das am gestrigen Abend bestätigt. Keine Resolution gegen Russland, und erst keine Sanktionen. Nur dass das vereinte Europa die Lage in Kaukasus sorgfältig verfolgen wird. Die traurige Botschaft des Gipfels ist, dass die Union vor dem Energiepotenzial der Staaten auf dem Gebiet der ehemaligen Sowjetunion niederkniete. (...) Vor dem Winter will sich Europa nicht in die Konfrontation mit Russland verwickeln, weil es zu sehr von dem Erdöl und dem Gas aus dieser - wieder entstandenen - Weltmacht abhängig ist."

"El Mundo" (Madrid)

"Die EU zeigt Einigkeit im Unbestimmten. Die vom Sondergipfel verabschiedeten Schlussfolgerungen sind vage und so, wie man sie erwartet hatte. Es ist mehr als unwahrscheinlich, dass Moskau sich nun veranlasst sieht, seine Haltung im Kaukasus-Konflikt zu ändern. Die EU-Staaten haben wieder einmal bewiesen, dass sie nur zu einer Einigung kommen, wenn sie den kleinsten gemeinsamen Nenner finden. Das Ergebnis zeichnet sich durch eine hochtrabende Rhetorik und einen Mangel an Inhalten aus. Die Krise um Georgien hat wieder einmal deutlich gemacht, dass die EU nicht in der Lage ist, eine kohärente und glaubwürdige Außen- und Verteidigungspolitik zu präsentieren."

"La Nouvelle République du Centre-Ouest" (Tours):

"Die einzige gute Nachricht dieses EU-Gipfels ist, dass es den Europäern, die mit abweichenden Positionen ankamen, gelungen ist, sich auf eine gemeinsame Antwort zu einigen. Die wird, das ist klar, nichts ändern. Nicht für die Russen und nicht für die Georgier, die mit dem Slogan 'Stoppt die Russen!' zu Tausenden als Unterstützung für ihren Präsidenten Saakaschwili demonstrierten. Aber wer kann die Russen heute aufhalten? Es komme nicht infrage, 'die Muskeln spielen zu lassen', hat Nicolas Sarkozy versichert, das sei nicht unser Stil. Europa hat weder die Lust noch die Mittel, einen Kreuzzug zu beginnen." (APA/dpa/AFP,red)