Wien - "Endlich!" So kommentiert Sozialforscher Bernd Marin vom Europäischen Zentrum für Wohlfahrtspolitik und Sozialforschung das Aufspringen der ÖVP auf ein einkommensabhängiges Kindergeld. „Schön, dass die ÖVP anfängt, von diesem familienkommunistischen Flatrate-System, bei dem Beiträge nichts zählen und Ausbildung bestraft wird, wegzukommen", sagt Marin.

Es gibt aber ein Aber: "Es hatscht, weil es halt nicht wirklich einkommensabhängig ist", so Marin im Standard-Gespräch: "Es gibt viele Frauen, die mehr verdienen als den Maximaldeckel von 2000 Euro, außerdem verschärft der hohe Sockel die bestehende Ausstiegsfalle für Niedrigverdienerinnen. Es gibt aber gar keinen Grund, das Kindergeld aus dem Versicherungsprinzip mit Mindestsicherung herauszunehmen." Wer mehr einzahlt, soll wie beim Wochengeld entsprechend mehr bekommen und nicht willkürlich ab 2000 Euro Verluste hinnehmen müssen.

Auch Einkommensexperte Alois Guger vom Wirtschaftsforschungsinstitut (Wifo) sähe in der Realisierung eines einkommensabhängigen Kindergeldes einen "wichtigen Schritt", der allerdings "sehr wenig bringt, wenn nicht parallel ausreichende, hochwertige und leistbare Kinderbetreuung zur Verfügung gestellt wird", sagt er im Standard-Gespräch. Derzeit klafft die größte Betreuungslücke genau bei den unter Dreijährigen. Der Bedarf nach Betreuungsplätzen würde durch die angestrebte frühere Rückkehr der Bezieherinnen des einjährigen einkommensabhängigen Kindergeldes natürlich steigen.

Aber um Investitionen in frühkindliche Betreuung und Erziehung komme die Politik ohnehin nicht herum, sagt Guger: "Wenn man Frauen eine Erwerbskarriere ermöglichen will, die jener der Männer gleichkommt, wenn man haben will, dass die Einkommensdifferenzen kleiner werden, muss man da investieren. Damit würde die Architektur des Wohlfahrtsstaates wirklich verändert."

Derzeit sei Österreich "irrsinnig großzügig mit Transferzahlungen, aber wir investieren wenig in soziale Infrastruktur, also in Betreuungseinrichtungen, das gilt für Kinder wie für Alte. Für die werden wir das auch brauchen, wenn in Zukunft Gleichberechtigung am Arbeitsmarkt bestehen soll".

Schweden hat es vorgemacht: Im EU-Vergleich höchste Frauenbeschäftigungsquote, geringste Einkommensunterschiede zwischen den Geschlechtern. Wie das? Auch weil die Mütter nicht so lang vom Arbeitsmarkt weg sind. Die "Elternversicherung" (80 Prozent des Letzteinkommens, 13 Monate, zwei für den Vater) hilft. Und: Es gibt einen Anspruch auf Kinderbetreuung ab dem zweiten Lebensjahr. (Lisa Nimmervoll, DER STANDARD, Printausgabe, 2.9.2008)