Weil Charakter und damit auch Lebensstil in den ersten vier bis fünf Lebensjahren geprägt werden, spielt auch die Geschwisterreihenfolge eine wichtige Rolle.

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Elternbildung, so meinte Alfred Adler Anfang des Jahrhunderts, sei eine der wichtigsten Aufgaben überhaupt. Vor allem die Art und Weise, wie ein Kleinkind von seinen Bezugspersonen ermutigt und von den Mitmenschen angenommen wurde, ist entscheidend. Weil Adler überzeugt war, dass Menschenkenntnis lehrbar ist, gründete er nach dem Ersten Weltkrieg im Rahmen einer Schulreform das Institut für Erziehungshilfe, das bis heute existiert.


Nicht groß und klein


"Viele Eltern sprechen ihre Kinder als Große und Kleine an, vor dem Hintergrund der Adler'schen Theorie der Minderwertigkeit beziehungsweise der Kompensation derselben, kann das eine prägende Wirkung haben. Dabei wäre es doch ganz einfach von ,älter‘ und ,jünger‘ zu sprechen", führt der individualpsychologische Analytiker Bernd Rieken als Beispiel an.

Das Los der Erstgeborenen


Weil Charakter und damit auch Lebensstil in den ersten vier bis fünf Lebensjahren geprägt werden, spielt auch die Geschwisterreihenfolge eine wichtige Rolle. Nach Adler ist der Erstgeborene derjenige, der unbewusst der Auffassung ist, dass ihm alle Macht zukommt. Er hat eine Zeitlang als Einzelkind gelebt und die ungeteilte Aufmerksamkeit seiner Eltern genossen.
Durch ein Geschwisterkind entsteht Konkurrenz, und Erstgeborene entwickeln Strategien, die ungeteilte Aufmerksamkeit wiederzugewinnen. "Verlieren Erstgeborene die Macht, sind sie der Auffassung, dass es sich nur um einen Unglücksfall oder ein Irrtum handeln kann", sagt Rieken.

Strategien der Zweitgeborenen

Und die Jüngeren, die ganz natürlicherweise in Wissen und Fähigkeiten den älteren Geschwistern hinterherhinken, müssen schneller Strategien entwickeln, sich zu behaupten. "Zweitgeborene erkennen die bestehende Macht nicht an, sondern trachten danach, dass die Macht in andere Hände übergeht", sagte Adler.


Lebensstrategien


Streit zwischen Geschwistern ist übrigens ein Ausdruck dieses Kampfes, so trainieren sie, sich gegeneinander zu behaupten. Zur Position der allerjüngsten Kinder einer Familie sagte Adler: Sie haben eine wahrhaft vorteilhafte Stellung, weil sie niemals Nachfolger bekommen werden und deshalb nicht entthront werden." Für die Eltern ist das jüngste Kind immer etwas Besonderes - insofern erklärt Adler auch die Tatsache, dass es in Märchen oft die Jüngsten, vermeintlich dümmsten Geschwister sind, die schwierige Situationen am besten meistern.


Und wie geht es Einzelkindern?

Ihre Charakterbildung hängt ganz von den Eltern ab. „Es kann auch zu viel des Guten von Eltern kommen", sagt Rieken und ist überzeugt, dass Verwöhnen für die Entwicklung nachteilig ist. Denn à la longue müssen Kinder sich in einem raueren Umfeld als dem Elternhaus behaupten. Auch Zurückstecken will gelernt sein. (pok)