Alfred Gusenbauer am Ende seiner kurzen Kanzlerschaft.

Foto: STANDARD/Corn

"Ich habe nicht die Angst, dass ich nach meiner Zeit als Bundeskanzler beschäftigungslos bin."

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Standard: Haben Sie nach Ihrem Abtritt von der Parteispitze tendenziell mehr oder weniger Freunde?

Gusenbauer: Naja, das habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht bewertet. Also ich kenne nicht weniger Leute als vorher. Ich glaube, das Abwenden und das Zuwenden ist nicht etwas, das von heute auf morgen stattfindet.

Standard: Was denkt man sich, wenn einem so viele Leute nachtrauern? Zuletzt hat sogar ÖVP-Wirtschaftsminister Martin Bartenstein eine dicke Träne vergossen.

Gusenbauer: Es ist immer so, dass die Grabsteininschrift meistens positiver ist, als die Nachrede zu Lebenszeiten.

Standard: Teilen Sie sich die Agenden jetzt eigentlich mit Werner Faymann? Er kümmert sich um die Innen-, Sie um die Außenpolitik?

Gusenbauer: Diese Aufteilung ergibt sich fast zwangsläufig. Er ist Spitzenkandidat für die Nationalratswahl und daher präsentiert er jene Programme, für die die SPÖ in dieser Wahlauseinandersetzung steht. Sein Fünf-Punkte-Programm zur Inflationsbekämpfung halte ich für eine richtige Offensive, weil es die Möglichkeit bietet, Wahlkampfaussagen der anderen Parteien einem Wahrheitstest zu unterziehen. Meine Rolle ist es klarerweise nicht, wie ein Spitzenkandidat aufzutreten, weil ich es nicht bin. Das ist er, und er macht das sehr gut. Ich kümmere mich um die Außenpolitik, um die Europapolitik und um die normalen Amtsgeschäfte, die zu erledigen sind. Heute früh waren zum Beispiel die Freunde aus dem Burgenland da wegen der Mattersburger Fußballakademie. Das Leben geht ja weiter.

Standard: In diesem Fünf-Punkte-Programm findet sich auch die Abschaffung der Studiengebühren. Sie haben noch vor kurzem erklärt, das macht vor der Wahl keinen Sinn. Warum macht es jetzt Sinn?

Gusenbauer: Der Punkt ist, dass die Abschaffung in einer aufrechten Koalition mit der ÖVP nicht gegangen wäre, weil es dazu keinen Konsens gegeben hat. Nachdem es aber jetzt mehrere Aussagen von den Grünen und teilweise auch von der FPÖ gab, dass sie bereit wären, die Studiengebühren abzuschaffen, besteht jetzt unter Umständen ein Mondfenster, dass das geschehen könnte. Wahlkampfzeiten sind ja nicht wirklich Zeiten, die durch ein Koalitionsabkommen definiert sind, sondern durch den Wettbewerb der Ideen.

Standard: Aber dieses Fenster hätte es vor einem Monat auch gegeben. Die Grünen waren immer fürs Abschaffen, und auch die FPÖ hat Anträge dazu eingebracht.

Gusenbauer: Ja, aber das war noch zu Zeiten der koalitionären Zusammenarbeit, und die gibt es ja jetzt in dieser Form nicht mehr.

Standard: Rektorenchef Christoph Badelt meint, mit der Abschaffung hilft man im Prinzip nur Reicheren, weil die ärmeren Studenten die Gebühr ohnehin über Stipendien zurückbekommen. Ist das SPÖ-Politik, den besser Betuchten das Studieren zu erleichtern?

Gusenbauer: Also sorry! Ich betrachte das als einen falsch verstandenen vulgär-marxistischen Zugang durch die parteipolitische Brille. Man muss sich einmal anschauen, wo die Stipendiengrenzen liegen. Ich komme aus keiner reichen Familie, mein Vater war Alleinverdiener und ganz normaler Bauarbeiter. Ich habe aber nie ein Stipendium bekommen.

Standard: Die Grenzen sind aber seither sicher angehoben worden.

Gusenbauer: Ja, aber dafür verdienen Bauarbeiter auch mehr. Ein durchschnittliches Arbeiterkind hat sehr oft kein Stipendium bekommen, das kann man nicht gleich zu den Reichen zählen. Außerdem wurden die Studiengebühren unter Vorspiegelung falscher Tatsachen eingeführt. Es wurde gesagt, die Qualität des Studiums wird sich verbessern. Das ist aber leider nicht eingetreten.

Standard: Die Alternativvariante gemeinnützige Arbeit statt Studiengebühren scheint total gefloppt zu sein. Statt erhoffter 10.000 haben sich nur 22 Studenten angemeldet. Sind Studenten zu wenig sozial?

Gusenbauer: Nein, das glaube ich gar nicht. Es ist leider gelungen, diese an sich solidarische und sehr wichtige Idee ab der ersten Minute zu diskreditieren. Und da hat die Bürokratie unter Führung von Wissenschaftsminister Johannes Hahn das Zusätzliche dazu beigetragen.

Standard: Geben Sie eigentlich selbst - wie versprochen - noch immer Nachhilfe?

Gusenbauer: Jetzt im Sommer habe ich keine Nachhilfe gegeben, aber es kommen immer wieder Schüler und sagen, sie würden gerne im Kollektiv ihren Anteil an Nachhilfestunden konsumieren.

Standard: Wo liegen Ihre Stärken als Nachhilfelehrer?

Gusenbauer: Meine Stärken liegen vielleicht darin, dass ich ein gutes Gefühl dafür habe, wo der Punkt der Schwäche ist, den man versuchen muss zu überwinden.

Standard: Bleiben wir bei Schwächen: Sie haben in einem Interview beklagt, in der Politik sei es schwierig, zu raschen Entscheidungen zu kommen. Wäre dann ein Mehrheitswahlrecht nicht gescheiter?

Gusenbauer: Es ist jetzt wahrscheinlich der schwierigste Zeitpunkt, über eine Wahlrechtsreform zu reden, da wir bei dieser Nationalratswahl einen Rekordstand von Listen erreicht haben. Worüber man sich Gedanken machen kann, ist, wie man die Beweglichkeit des politischen Systems steigern kann. Das müsste dann aber ein Gesamtangebot an die Bevölkerung sein: Wenn man ein stärker mehrheitsorientiertes Wahlrecht und damit eine klarere Regierungsverantwortung will, muss man dem eine wesentliche Stärkung der Minderheits- und Kontrollrechte des Parlaments gegenüberstellen. Und zum Dritten bräuchte es eine Ausweitung der direkt demokratischen Möglichkeiten der Bevölkerung - zum Beispiel durch die Durchführung von Volksabstimmungen, wenn eine bestimmte Anzahl von Unterschriften für ein Volksbegehren vorhanden ist.

Standard: Als Paket sollte man das in der nächsten Periode angehen?

Gusenbauer: Ich halte es für eine legitime Überlegung, glaube aber, dass so eine Änderung nur auf Basis einer expliziten Zustimmung der Bevölkerung bei einer Volksabstimmung stattfinden kann.

Standard: Ist das die Lehre aus der großen Koalition?

Gusenbauer: Ich würde das gar nicht so spezifisch in Bezug auf die große Koalition sagen. Ich glaube grundsätzlich, dass es um die Frage des Gestaltungsspielraums von Politik geht. Bei der Entwicklung von Ökonomie, Technologie und Medien stellt sich immer stärker die Frage der Geschwindigkeit. Und so hat man oft den Eindruck, dass die Politik nachhinkt wie ein alter Greis.

Standard: Sind Sie eigentlich neidisch auf die gute Presse Ihres Nachfolgers Werner Faymann?

Gusenbauer: Nein, wieso? Ich freue mich darüber, dass die SPÖ einen erfolgreichen Wahlkampf führt und dass der Werner, den ich ja in die Regierung geholt habe, und den ich als Parteivorsitzenden und Spitzenkandidaten vorgeschlagen habe, so eine ausgezeichnete Figur macht.

Standard: Kann die Lobhudelei der "Kronen Zeitung" nicht kontraproduktiv sein? Wenden sich da nicht viele Intellektuelle ab, weil sie es nicht aushalten, wie hier geschleimt wird?

Gusenbauer: Also ehrlich gesagt, ich würde das ganz entspannt betrachten. Es hat niemanden gestört, dass ich von allen kritisiert wurde. Daher sollte es jetzt niemanden stören, wenn der Werner von allen gelobt wird, oder?

Standard: Aber offenbar stört es viele Leute.

Gusenbauer: Ich weiß nicht, ob es die Leute stört. Ich habe eher das Gefühl, es stört die politischen Mitbewerber und vielleicht manche journalistischen Mitbewerber der "Kronen Zeitung". Dass es für die Menschen störend ist, wenn über einen Politiker was Positives geschrieben wird, glaube ich nicht. Ich habe zumindest noch nie jemanden getroffen, der gesagt hat: "Es stört mich wirklich, dass diese oder jene Zeitung was Positives über irgendwen schreibt."

Standard: Was wir noch fragen müssen: Wie schaut's mit einem neuen Job aus?

Gusenbauer: Ich gehe meinen Aufgaben bis zum letzten Tag nach. Wenn mir jemand was erzählen will, dann kann er mir gerne was erzählen. Aber ich begebe mich jetzt nicht - während ich Bundeskanzler bin - auf aktive Jobsuche.

Standard: Gibt es schon Angebote?

Gusenbauer: Sagen wir so: Ich habe nicht die Angst, dass ich nach meiner Zeit als Bundeskanzler beschäftigungslos bin. (Günther Oswald und Michael Völker, DER STANDARD, Printausgabe, 1.9.2008)