Auf Pathos verzichtete er dabei. Obama forderte höhere Steuern für Reiche und eine neue Energiepolitik.

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Der große Tag beginnt mit einer Warteschlange, einem Härtetest für den Rentner James Leak. Zwei Stunden steht der 78-Jährige in der Augustsonne, gestützt auf einen Krückstock und eisern gewillt, dabei zu sein. "Der erste schwarze Präsidentschaftskandidat, das erlebt man nur einmal im Leben", sagt er. Bei manchen klingt das wie eine Floskel. Nicht bei James Leak. Für ihn krönt dieser Tag gewissermaßen auch das eigene Leben.

Seine Hautfarbe ist noch dunkler als die Obamas. Während der Politiker die schlimmsten Zeiten der Rassendiskriminierung nur aus Erzählungen kennt, hat der Pensionär sie am eigenen Leibe erfahren. 1956: Der Soldat Leak kommt nach zwei Jahren Militärdienst im bayerischen Landstuhl nach Hause, nach Durham in North Carolina. "Nigger werden nicht bedient", liest er auf dem Schild einer Hotdog-Bude. Die Bitterkeit, die er damals empfand, liegt noch heute in seiner Stimme. Und nun die Genugtuung darüber, dass einer wie Obama das Weiße Haus in Sichtweite hat. Sie brachte Leak dazu, mit dem Auto quer durchs Land zu fahren. 48 Stunden dauerte seine Reise von Durham.

Jetzt sitzt er in der Nordkurve und blickt auf pseudogriechische Säulen, die unten auf dem Rasen die Bühnenkulisse bilden. Dort singen die Stars, Sheryl Crow und Stevie Wonder, dort marschieren 25 Generäle auf, um zu bestätigen, dass auch die Demokraten etwas vom Militär verstehen. Dort schlägt Martin Luther King III, der Sohn des legendären Predigers, den großen geschichtlichen Bogen.

Genau 45 Jahre ist es her, dass sein Vater in Washington seine berühmteste Rede hielt ("I have a dream"). Wieder schallen diese Worte durch die Arena. Kings Sohn sagt, dass er stolz ist auf das Amerika, das Obama wählt. John Lewis, ein Gefährte des ermordeten Geistlichen, schlägt skeptischere Töne an. Der Abgeordnete Lewis gehört zur Generation, die noch von Polizisten niedergeknüppelt wurde, weil sie gegen Rassentrennung aufbegehrte. "Wir müssen marschieren, wie wir noch nie marschiert sind, um Barack Obama zum nächsten Präsidenten zu wählen."

Auch Obama beruft sich auf Martin Luther King, aber nur, um scharf mit George W. Bush abzurechnen. Es sei das Versprechen namens Amerika gewesen, das Menschen aus allen Ecken nach Washington zog, um King zu hören, sagt er. Die Verheißung, dass jeder, der hart arbeitet, sich seinen Traum erfüllen kann. Bush habe sie verraten. "Amerika, wir sind besser als diese letzten acht Jahre. Wir sind ein besseres Land."

42 Minuten dauert der Auftritt, der Senator aus Chicago meistert ihn souverän wie immer. Trotz der enormen Erwartungen, die auf seinen Schultern lasten, lässt er nicht die geringste Spur von Nervosität erkennen. Bewusst verzichtet Obama auf die Poesie, das Pathos der Wahlreden des Winters.

Ein Millionär namens McCain

Er will alle widerlegen, die ihm unterstellen, er biete zu wenig Substanz. Also füllt er die Worthülse "Change" mit Details. Er spricht von Steuern, die er für 95 Prozent der Amerikaner senken und für die Reichen erhöhen will. Er spricht von den 150 Milliarden Dollar, die binnen zehn Jahren in alternative Energien investiert werden sollen. Er spricht vom Öl aus Nahost, aus dessen Abhängigkeit sich die USA innerhalb eines Jahrzehnts befreien sollen. Scharf attackiert er John McCain, dessen Achillesferse die Demokraten entdeckt zu haben glauben. Neulich wusste McCain nicht, dass er sieben Immobilien besitzt. Obama charakterisiert ihn als Millionär, der die Welt durch die rosarote Brille sieht und keinen Bezug mehr hat zum Alltag eines Normalverdieners. Wie schon so oft erzählt Obama von seiner Familie. Diesmal widmet er sich fast nur seinem Großvater, der mit der Armee durch Europa marschierte, um den Kontinent von den Nazis zu befreien. "USA! USA!", skandieren sie auf den Rängen. "America! America!", flackert die Leuchtreklame. Auch die Feuerwerksraketen leuchten am Schluss in den Landesfarben: Blau, Weiß und Rot. (Frank Herrmann aus Denver/DER STANDARD, Printausgabe, 30.8.2008)