Eine Dreierkonstellation, die zwischen Geschäft und Gefühl gefangen bleibt: Benno Fürmann (li.), Hilmi Sözer und Nina Hoss als zentrales Trio in Christian Petzolds eindrucksvollem Beziehungsdrama "Jerichow".

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Zu jedem Großfestival gehören die symbolischen Auseinandersetzungen, die Auswahl und Ausrichtung des Programms betreffen. So hat sich nun der italienische Kulturminister Sandro Bondi bemüßigt gefühlt, auf einen Artikel des Spiegel zu reagieren, der sich über die Vielzahl italienischer Filme im Wettbewerb der Mostra seine Gedanken machte und darin einen "neuen Kinopatriotismus" erkennen wollte.

Bondi reagierte erbost, hob die gegenwärtige Blüte des nationalen Kinos hervor und verschaffte der Angelegenheit damit noch zusätzlich Gewicht. Das Camorra-Epos Gomorrah und der Andreotti-Film Il Divo, die beide in Cannes ausgezeichnet wurden, haben den italienischen Film zwar aus dem Koma geweckt. Aber in Venedig steht der Beweis noch aus, dass es sich dabei nicht nur um eine kurzzeitige Genesung handelt.

Unter diesen Umständen erscheint es fast ironisch, dass gerade ein deutscher Film, Christian Petzolds Jerichow, der bisher einrucksvollste im Rennen um den Goldenen Löwen war. Es geht darin um eine Dreiecksgeschichte, um die Arbeits- und Liebesverhältnisse zwischen dem türkischen Imbissbudenbesitzer Ali (Hilmi Sözer), seiner deutschen Frau Laura (Nina Hoss) und Thomas (Benno Fürmann), einem Ex-Soldaten, der zu Alis Chauffeur und Lauras Geliebtem wird. Schon in dieser Anordnung lässt sich das innere Prinzip dieses konzentrierten Dramas erkennen: Jede Form von Gemeinschaft wird durch Geld definiert, ja selbst die Liebe kommt gegen ökonomische Abhängigkeiten nicht an. Und bei jeder Aktion stellt sich daher die Frage, ob sie geschäftlich sinnvoll oder moralisch vertretbar ist.

Ali hat sich irgendwo in Mecklenburg-Vorpommern, in einer strukturschwachen Region, sein eigenes kleines Reich abgetrotzt. Er ist reich, doch er verfügt über nichts, was anders als durch Kapital bestimmt ist. Selbst Laura hält er nur über einen Ehevertrag bei sich, den auch Thomas so einfach nicht beseitigen kann. Ali ist eine tragische Figur, weil er nirgendwo hingehört. Die anderen beiden haben aber auch fast keine Wahl.

Wie schon Petzolds letzter Film Yella vereint auch Jerichow eine Genregeschichte - in diesem Fall den Film noir The Postman Always Rings Twice - mit einer zeitgenössischen Diagnose deutscher Realitäten. Bei aller Künstlichkeit bleibt der Film sehr konkret in der Beschreibung seines Milieus. Man kann schön beobachten, wie sich eine Geschichte, die nicht allzu viele Möglichkeiten in sich birgt, immer wieder, sehr filmisch, aus verändertem Winkel betrachten lässt.

Zum Zerreißen gespannt

Passend zur Handlung sind es Dreierkonstellationen, die Blick- und Raumverhältnisse vorgeben, und die Art und Weise, wie Petzold Situationen anspannt und überdehnt, bis sie zu zerreißen drohen, zeigt einen neuen, überraschend dramatischen Tonfall in seinem Œuvre an. Im Finale fühlt man sich gar an die Unausweichlichkeiten mancher Fassbinder-Arbeiten erinnert.

Eine Genrebewältigung der ganz anderen Art hat der aus Hollywood nach Europa zurückgekehrte Regisseur Barbet Schroeder mit Inju - The Beast in the Shadow versucht - und damit gleich geschafft, die ersten Buhrufe zu kassieren. Inju ist dennoch kein Film, der wirklich zu polarisieren vermag. Er ist bloß frech, unverschämt und ein wenig blöd, dafür stilistisch sehr elegant. Alex, ein etwas gockelhafter Krimiautor (Benoît Magimel), fährt nach Japan, um sein neues Buch zu promoten, das der dortigen Größe Shundei Oe Konkurrenz machen soll. Oe ist jedoch kein gewöhnlicher Schriftsteller, sondern ein mythenumrankter Spinner, der in seinen Büchern immer das Böse siegen lässt. Schroeder hat ein überkandideltes B-Movie inszeniert, das alle reißerischen Zutaten einer etwas wirren Crime-Mystery-Story (die Vorlage stammt vom japanischen Kultautor Edogawa Rampo) gierig aufsaugt und breit ausspielt. Es gibt eine mysteriöse Geisha, einen fratzenhaften Bösewicht, tote Katzen, Bondage und Fuß-Sex, aber viel weiter als bis zur schillernden Hommage gelangt Schroeder damit nicht. Es fehlt ihm die Haltung eines Paul Verhoeven, bei dem Trash auch eine politische Schlagseite erhält.

Zwei Meisterregisseure richten den Blick dagegen auf das Geheimnis künstlerischen Wirkens: Der Japaner Takeshi Kitano betreibt in Achilles and the Tortoise sein reflexives Spiel um Inspirationssuche, während Abbas Kiarostami in Shirin den Empfindungen seines Publikums nachspürt.

Kitanos tragikomische Geschichte dreht sich um einen Buben, der nichts anderes machen will als malen, in späteren Lebensjahren dann aber entdecken muss, dass es ihm an Talent mangelt. Wie Achill der Schildkröte, läuft er einem eigenen Stil hinterher - was Kitano nützt, um eklektisch Inszenierungsweisen durchzuspielen, gegen Ende immer dreister: Da muss ihn seine Frau in der Badewanne untertauchen, damit ihm die Nahtoderfahrung endlich die Inspirationen liefert.

Shirin besteht aus 114 Frauengesichtern, wovon eines der französischen Schauspielerin Juliette Binoche gehört - alle Zuschauerinnen der Dramatisierung eines persischen Poems aus dem 12. Jahrhundert. Die Intensitäten des melodramatischen Geschehens spiegeln sich nur auf den Gesichtern wider, es fließen Tränen, dann verziehen sich die Münder wieder zu einem Lächeln, oder die Augen der Frauen weiten sich vor Schreck. Kiarostami zeigt auf eindringliche Weise, wie mächtig das Kino mit unseren Emotionen spielt - wofür er wiederum von Kitano den "Glory-to-the-Filmmakers!" -Award überreicht bekam. (Dominik Kamalzadeh aus Venedig, DER STANDARD/Printausgabe, 30./31.08.2008)