Wien/Tel Aviv - Für die palästinensischen Verhandler ist die israelische Strategie offenkundig: "Sie essen Kuchen, über den sie verhandeln", sagt der Mann aus dem Büro in Ramallah, das für die Gespräche mit Israel zuständig ist. Der Kuchen, damit ist nichts Geringeres als das Westjordanland gemeint.
Die israelische Friedensorganisation Peace Now hat diese Woche einen verheerenden Bericht über Jerusalems Siedlungsaktivitäten veröffentlicht. Israel hat Ende 2007 zwar in einen Verhandlungsprozess mit den Palästinensern eingewilligt, gleichzeitig aber den Ausbau seiner Siedlungen im Westjordanland massiv beschleunigt.

Mehr als 1000 neue Gebäude lässt die Regierung in Jerusalem aus dem Boden stampfen, schreibt Peace Now. Allein zwischen Januar und Mai 2008 wurde mit der Konstruktion von 433 Wohnungen begonnen. Damit wurden fast doppelt so viele Baugenehmigungen wie im Vergleichszeitraum 2007 vergeben. Die Zahl der Ausschreibungen für Bautätigkeiten in den Siedlungen ist im Vergleichszeitraum gar um 550 Prozent gestiegen. Als erste prominente Kritikerin meldete sich US-Außenministerin Condoleezza Rice zu Wort. Israels Aktivitäten seien "nicht hilfreich" , sagte sie am Dienstag. Aber warum hat Israel im November in Verhandlungen eingewilligt, um dann seine Bautätigkeit zu beschleunigen?

"Da hat jemand das Gefühl, dass ihm die Zeit davonläuft" , antwortet der Mann aus Ramallah, der lieber anonym bleiben möchte, "die Israelis wollen noch rasch Fakten schaffen." Die Frustration unter den palästinensischen Verhandlern habe inzwischen jedenfalls einen Höhepunkt erreicht. Warum verlassen sie dann nicht - zumindest aus Protest - den Verhandlungstisch? "Wenn wir morgen aufstehen und gehen, dann fleht uns die ganze Welt übermorgen an zurückzukehren. Und es würde so aussehen, als ob wir das Hindernis für ein Abkommen wären."

Hagi Ofran hat zwei Erklärungen für die israelischen Bauaktivitäten. "Entweder sie wissen nicht, was sie tun, oder sie wollen den Verhandlungsprozess absichtlich sabotieren" , sagt sie im Standard-Gespräch. Ofran ist jene Frau, die den achtseitigen Bericht für Peace Now verfasst hat, der nun um die Welt geht. Sie fuhr dafür regelmäßig in Siedlungen und zählte Häuser. Daneben recherchierte sie in Ministerien und wertete Luftaufnahmen vom Westjordanland aus.

Dass die Zahlen so sprunghaft angestiegen sind, dafür sei die Siedlerbewegung verantwortlich. Um Annapolis zu stoppen, hätten sie in den vergangenen Monaten einfach weit mehr Anträge für Baugenehmigungen gestellt. Dass die Regierung diese genehmigt, dabei aber nicht weiß, welchen Schaden sie anrichtet, dafür spricht ihre Argumentation. Jerusalem rechtfertigt sich stets damit, dass der Siedlungsausbau nur in Gebieten vorangetrieben werde, die ohnehin bei jedem Verhandlungsergebnis bei Israel bleiben werden. "Vielleicht sehen sie das wirklich so und verstehen nicht, dass das eine Katastrophe für unsere palästinensischen Partner ist" , sagt Ofran. Oder aber die Regierung unter Premier Olmert sei eben d'accord mit der Siedlerbewegung.

Der österreichische Nahostexperte John Bunzl dagegen spricht vielmehr von einem Automatismus in der Siedlungspolitik: "Das läuft einfach und wird nicht gestoppt. Einen eigenen Beschluss der Regierung braucht es gar nicht. (András Szigetvari/DER STANDARD, Printausgabe, 29.8.2008)