Ist optimistisch, dass Royal Dutch Shell im Jahr 2035 rund 20 Prozent des Geschäfts mit erneuerbaren Energien machen kann: der Chefstratege des niederländisch-britischen Mineralölkonzerns Karl Rose.

Warum das so ist und warum China den American Way of Life nicht nachahmen kann, sagte der gebürtige Steirer auf Fragen von Günther Strobl.

STANDARD: Die hohen Ölpreise wirken fast wie ein Turbo für Alternativenergien. Keine Angst, dass Ihnen als Ölunternehmen die Geschäftsgrundlage abhandenkommt?

Rose: Überhaupt nicht. Wir sehen uns ja nicht als Öl- und Gasfirma, sondern als Energiekonzern und beschäftigen uns auch mit Windkraft, Solarenergie und Wasserstoff. Unsere Szenarien gehen von einem Anteil der erneuerbaren Energien von bis zu 30 Prozent des Bedarfs an Primärenergie bis 2050 aus.

STANDARD: Gemessen an den Gesamtinvestitionen spielt sich Ihr alternatives Engagement aber noch im Promillebereich ab?

Rose: Man kann nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Wir sind ein über 100 Jahre altes Öl- und Gasunternehmen. Das ist unser Stammgeschäft. Wir müssen erst mal herausfinden, welche Technologien bei den alternativen Energien das Rennen machen und uns rentabel erscheinen. Tatsache ist, das Shell bereits 1997 einen eigenen Geschäftsbereich für erneuerbare Energien gegründet und bis Ende 2007 eine halbe Milliarde Dollar allein in die Forschung und Entwicklung gesteckt hat.

STANDARD: Die normative Kraft des Faktischen?

Rose: Wir können in Pilotanlagen investieren und machen das auch. Bei Solarenergie haben wir jahrelang Verluste in Kauf genommen, weil wir gesagt haben, das brauchen wir, um die Technologie zu entwickeln und uns vorzubereiten. So etwas kann man Aktionären erklären. Wenn man aber 50 Prozent des Umsatzes in den Sand setzt, hört das Verständnis auf.

STANDARD: Es wird also nicht so rasch der Fall sein, dass Shell den Löwenanteil des Geschäfts mit erneuerbaren Energien macht?

Rose: Wenn alles so weiterläuft wie derzeit, werden wir 2035 vielleicht 20 Prozent unseres Geschäfts mit Erneuerbaren machen. Damit sind wir schon sehr optimistisch, einige unserer Mitbewerber gehen nicht so weit.

STANDARD: Öl- und Gas bleiben also auf absehbare Zeit die wichtigsten Primärenergieträger?

Rose: So ist es. Und außerdem geht der Trend in Richtung Verstaatlichung. In den vergangenen Jahren hat es eine Renationalisierung der Energieassets gegeben. Man hat das in Russland gesehen, in Venezuela, Bolivien und anderen Staaten. Gut 90 Prozent der Ressourcen sind in Händen staatlicher Unternehmen.

STANDARD: Was ist der Grund?

Rose: Das hat mit der Budgetplanung in diesen Ländern zu tun. Für Saudi Arabien etwa gilt ein Preis von 60 bis 70 Dollar als Untergrenze. In Ländern wie Venezuela liegt der Wert bei 90 Dollar. Wenn die Ölpreise unter diese Bandbreite fallen, würde die Opec (Organisation erdölexportierender Länder; Anm.) reagieren.

STANDARD: Trotz geringer Produktionskosten?

Rose: Ja, weil die sozialen Kosten hoch sind. Subventionierte Treibstoffe sind nur ein Beispiel dafür. Die Opec hat kein Interesse an niedrigeren Ölpreisen. Die haben auch kein Interesse, Swingproducer für den Westen zu sein.

STANDARD: Die Ölpreise bleiben hoch?

Rose: Die Tatsache, dass große Erzeugerländer im Nahen Osten und Lateinamerika Mindesteinnahmen brauchen und das Faktum, dass Länder wie China in eine intensivere Phase der Entwicklung kommen, sind mit ein Grund für die hohen Rohölpreise. Je mehr das BIP pro Kopf der Bevölkerung steigt, desto mehr wird vom Rad aufs Moped und vom Moped aufs Auto umgestiegen. Das hat eine ungeheure Auswirkung auf die Nachfrage, egal ob das Stahl ist, Kohle oder Rohmaterialien aller Art. Wir gehen davon aus, dass sich die Energienachfrage bis 2050 verdoppeln wird.

STANDARD: Verträgt unser Planet die Nachahmung des American Way of Life in Asien?

Rose: Mit der steigenden Nachfrage sind weitere Herausforderungen mit dem Blick auf den Klimaschutz verbunden. Die steigende Nachfrage bedeutet einen weiteren Anstieg der CO2-Emissionen, der umso höher ausfällt je mehr Energie verbraucht wird. Nach Expertenmeinung wird China daher auf eine geringere Energieintensität einbiegen müssen und auch Amerika und Europa werden nicht umhin kommen, weniger Energie pro Kopf der Bevölkerung zu verbrauchen. (DER STANDARD, Print-Ausgabe, 27.8.2008)