Eines der Triebwerke der in Madrid verunglückten Spanair-Maschine war auf Umkehrschub gestellt, als die Behörden es an der Unglücksstelle auffanden. Das berichteten am Dienstag gleich mehrere spanische Zeitungen übereinstimmend. Ob der aktivierte Umkehrschub aber die tatsächliche Unglücksursache ist, ist nicht gesichert. Der aktivierte Umkehrschub galt 1991 beim Absturz einer Boeing 767 der Lauda Air als Unfallursache.
Die spanischen Sicherheitsexperten müssen sich nun eine Reihe von neuen Fragen stellen: So etwa, wann der Umkehrschub aktiviert wurde und warum.
Mehreren überlebenden Passagieren und einer Flugbegleiterin zufolge fehlte dem Flugzeug beim Start Schub. Der Pilot könnte versucht haben, den Start abzubrechen, in dem er den Umkehrschub aktiviert habe, obwohl das Flugzeug dafür eigentlich bereits zu schnell war, schreibt etwa El País. Der eigentlich nur für die Landung vorgesehene aktivierte Umkehrschub am rechten Triebwerk würde erklären, warum das Flugzeug nach dem Start von der Startbahn nach rechts kippte.
Immer noch gibt es um das Madrider Unglück also viel mehr Spekulationen als Informationen. Manches längst für gesichert geltende Detail wird revidiert. So die Legende vom brennenden Triebwerk, das Augenzeugen beim Start gesehen haben wollen. Aufnahmen einer Überwachungskamera haben ergeben, dass das Flugzeug erst nach dem Aufschlagen auf dem Boden Feuer fing.
Die Suche nach den Schuldigen geht auch in den Medien weiter: Die spanische Luftfahrtbehörde hat die Zahl der Kontrollen der Flugzeuge in den vergangenen Jahren zwar massiv erhöht, allein Spanair wurde in diesem Jahr 100 mal kontrolliert. Das ist trotzdem zu wenig, findet die Tageszeitung El Mundo und zitierte in einem Artikel die Pilotengewerkschaft Sepla: "Es sind wenig und schlechte Kontrollen." Ein Gewerkschaftssprecher erklärte später, das nie gesagt zu haben, im Gegenteil bestätigte auch er, dass in den vergangenen Jahren stärker überprüft wurde.
Auch die Berichterstattung rund um das Unglück wird immer mehr zum Spektakel. Das Madrider Hotel, in dem immer noch Angehörige auf die Identifizierung einiger Toten warte, wird von Fernsehteams belagert. Kein Sender kommt ohne Übertragungswagen auf dem großen Madrider Friedhof Almudena aus.
Zum vorläufigen Tiefpunkt wurde dabei ein Beitrag eines argentinischen Fernsehsenders: Todo Noticias veröffentlichte am Montag den vermeintlich letzten Funkdialog der Piloten der Unglücksmaschine. Das spanische Infrastrukturministerium erklärte, es handle sich um eine Fälschung. Die Flugschreiber sind nämlich noch unter Verschluss. (Hans-Günter Kellner, Der Standard Print-Ausgabe, 27.08.2008)