Yann Thiersen, "Tabarly" (EMI 2008)

Coverfoto: EMI

Noch mit 63 zum französischen Sportler des Jahres gewählt - Eric Tabarly

Eric Tabarly ist ein bretonischer Mythos, vielleicht nur noch zu vergleichen mit Bernard Hinault, dem fünffachen Sieger der Tour de France. Yann Tiersen ist ebenfalls Bretone, und er hat die Musik zu einem Dokumentarfilm über das Leben jenes Mannes komponiert, der als Vater des modernen Hochsee-Segelns in Frankreich gilt. Tiersen hat Erfahrung in diesem Job, steuerte er doch vor einigen Jahren bereits den Score für "Die fabelhafte Welt der Amélie" ("Le fabuleux destin d'Amélie Poulain") bei, mit dem er weit über Frankreich hinaus Bekanntheit erlangte.

Sehnsucht, jenes Gefühl, das mit dem Motiv der Reise immer mitschwingt, eine Art überseeische Melancholie des Abschieds, scheint über Tiersens Stücken zu schweben. Ebenso aber ein Vertrauen, das dem Aufbruch innewohnt, dem sich Hingeben an die Weiten. Widerstreitende Emotionen, verkörpert auch im Gesicht des stoppeligen Seebären auf dem Cover, der uns mit dem zartesten Anflug eines Lächelns anblickt und aus dessen Augen doch jederzeit eine Träne kullern könnte.

Tabarly war ein Bild von einem Skipper: Waghalsig, clever und gutaussehend. Er verließ die französische Marine, um sich auf eine Karriere als Einhandsegler zu verlegen. Besonders Erfolge gegen die britischen Konkurrenten brachten ihm die Bewunderung seiner Landsleute ein und sicherten seinen Platz im Pantheon französischer Sportgrößen. 1964 steuerte er seine eigentlich für eine achtköpfige Crew konstruierte Yacht im Alleingang zum Sieg in einer prestigereichen Transatlantik-Regatta, seinen Rivalen Sir Francis Chichester ließ er beinahe drei Tage hinter sich. Man nannte Tabarly wohl nicht umsonst den "Eisernen".

Tiersen, Multiinstrumentalist mit klassischer Ausbildung, ist in seinem Metier ein vergleichbarer Alleingänger. Zweifellos schwelgerisch veranlagt, hält er durch die äußerst zurückhaltenden Arrangements immer das rechte Maß. Er umschifft die Gefahr, die Heroik in der Vita Tabarlys mit Pomp zu duplizieren. Auch nautische Nebengeräusche kommen so gut wie nicht vor, nur einmal tutet es maritim. Stattdessen: hingetupfte Schlaglichter, Fragmente, Kürzestgeschichten. Minimal Music mit einem Schuss Romantik. Oder umgekehrt. 

Tiersen bringt bevorzugt das Piano zum Einsatz, zart variiert er seine repetitiv mäandernden Motive, die dich an der Hand nehmen und mit sich fortführen. Mehr als einmal wünscht man, es möge weitergehen. Tabarly lädt dazu ein, es am Ende gleich wieder beginnen zu lassen. Die Stücke wirken nicht sosehr wie abgeschlossenen Einheiten, sondern vielmehr wie Kapitel einer größeren Erzählung. Die Erfahrungen des einsamen Mannes in seinem Boot - die Monotonie, die Weite, die Ruhe und die Bewegung - all das ist in Tiersens Musik präsent. Und sie lässt darüberhinaus den Gedanken Raum zum Schweifen.

Au-dessous du Volcan, die am detailliertesten ausgearbeitete Komposition der 15 Stücke, entwickelt ein wahres Pleuelstangenmenuett. In einer ganz entzückenden Variation des alten Lokomotiven-Motivs will hier ein Aggregat im Maschinenraum nur zögerlich in Schwung kommen. Unwilliges Zischen und Stampfen erst, in der Beengtheit des Hafenbeckens. Munterer werdend, je mehr Wasser unter dem Kiel gewonnen wird. Um endlich doch fröhlich von Welle zu Welle zu schnurren, in beschwingter Fahrt.

In Éire kündet ein zitternder Violinenton von der Küste, die in der Ferne gleich erscheinen wird. Schemenhaft, durch den Schleier wassergesättigten Dunsts vielleicht. So möchte man zumindest glauben. Nur wenige Sekunden lang, doch voll erhabener Größe. Tabarly sollte das Land nicht mehr schauen. 1998 ging er bei einer Reise nach Schottland über Bord und ertrank in der Irischen See. Für einmal war er nicht alleine unterwegs, doch die Kameraden konnten nicht helfen. Tabarly trug keine Rettungsweste, so hatte er es meist gehalten. Er war 66 Jahre alt. (Michael Robausch)