Werner Faymann höchstpersönlich - damit wohl auch die SPÖ - hat also das Stillhalteabkommen mit ihrem Noch-Koalitionspartner aufgekündigt, um sich in einer Sondersitzung des Parlaments Mehrheiten jenseits der ÖVP suchen zu können. Quasi als Chef einer provisorischen Semi-Minderheitsregierung auf Zeit.

Diese populistische Spätzündung zur Ermöglichung einer kurzatmigen "panem et circenses"-Politik lässt an eine Inspiration Faymanns durch seinen Wahlonkel Hans denken. Immerhin sollen rund 1,3 Milliarden Euro bewegt werden.

Dabei sei zugestanden, dass es ein demokratiepolitischer Denkfehler war, das Stillhalteabkommen überhaupt abgeschlossen zu haben. Es aufzukündigen ist also lediglich die späte Reparatur einer Fehlentscheidung.

Auch kann ein lebendiger Parlamentarismus selbst in Vorwahlzeiten durchaus belebend wirken. Zu befürchten ist allerdings, dass auch hier gelten wird: Nach der Wahl ist nicht vor der Wahl!

Beunruhigend ist aber vor al- lem die Drittwirkung des Faymann'schen Winkelzuges: Wer auf Popularität schielt oder glaubt schielen zu müssen, wird wohl glauben, nicht anders zu können als "zuzustimmen", wenn die SPÖ in einer Last-Minute-Aktion Teile ihrer gebrochenen Wahlversprechen zu reparieren versucht. Erwartungsgemäß haben auch Freiheitliche, BZÖ und auch die Grünen sogleich ihre Zustimmung signalisiert. Was sind schon 1,3 Milliarden Euro - das nächste Budget wird das schon irgendwie "auffangen". Politische Ernsthaftigkeit und Verantwortung sehen anders aus.

Gerade in den wenigen Wochen die uns noch von einem neu gewählten Nationalrat trennen, wäre Besonnenheit geboten: So brennend die Neuordnung des Pflegesystems oder so sozial unbedacht die aktuellen Studiengebühren - ohne gleichzeitige tiefgreifende Neuordnung der Studienbeihilfe - auch sind; beide Themen können seriös nur in Zusammenschau mit einer Steuerreform gelöst werden. Das Faymann-Paket als Vorgriff auf die Steuerreform zu bezeichnen, grenzt daher an eine Verspottung der Betroffenen.

Dabei gäbe es genügend offene "Baustellen" ohne unmittelbare negative budgetäre Nebenwirkungen. Etwa ein menschenrechtskonformes Fremdenrecht, das nicht mehr immer aufs Neue erdachte verfassungswidrige Bestimmungen enthält - kaum dass der Verfassungsgerichtshof gesprochen hat -, oder ein Kartellrecht, dass sich nicht nur über mögliche kommende Kartelle den Kopf zerbricht, sondern auch real existierenden marktbeherrschenden Zusammenschlüssen zuwendet - wie etwa der Mediaprint oder den Wirkungskartellen in der Energiewirtschaft. (Volker Kier/DER STANDARD Printausgabe, 26. August 2008)