Dass die SPÖ jetzt auch alternative Beschlussfassungen im Parlament nicht ausschließt, dürfte für Aufregung bei der ÖVP sorgen - Für Verteidigungsminister Darabos könnte es zu einem Misstrauensantrag führen.

SPÖ-Chef und Infrastrukturminister Werner Faymann kündigt im Interview mit dem STANDARD (Dienstag-Ausgabe) der ÖVP das Stillhalteabkommen auf. In diesem Abkommen hatten sich die beiden Parteien dazu verpflichtet, sich bis zum Ende der Legislaturperiode nicht gegenseitig zu überstimmen. In fünf Punkten wird sich die SPÖ im Parlament jetzt andere Mehrheiten suchen und unter anderem einen Antrag zur Abschaffung der Studiengebühren einbringen.

Die fünf Punkte sind:

1.) Erhöhung des Pflegegeldes

2.) Einführung der 13. Familienbeihilfe (wie auch von der ÖVP gefordert), aber auch für Kinder unter 6 Jahren

3.) Halbierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel

4.) Abschaffung der Studiengebühren

5.) Verlängerung der Hacklerregelung bis 2013

Faymann sucht sich neue Mehrheiten

Auf den Tag sieben Wochen musste Josef Broukal warten, um Genugtuung zu bekommen: Am Tag 49 nach seinem Rücktritt als Wissenschaftssprecher der SPÖ aus Protest gegen die von seiner Parteispitze verhinderte Abschaffung der Studiengebühren mit Grünen und FPÖ, verkündete SPÖ-Chef Werner Faymann, dass er nun bereit ist, den Anfang Juli noch vorgeschobenen Nichtangriffspakt mit der ÖVP brechen zu wollen. "Fünf Punkte für die Bevölkerung" mit einem Volumen von rund 1,3 Milliarden Euro will Faymann noch vor der Wahl im Parlament beschließen, nicht mit Ex-Koalitionspartner ÖVP, sondern mit der Opposition. Am 24. September findet ohnehin eine Nationalratssitzung statt, davor soll noch eine Sondersitzung einberufen werden.

Broukal im Gespräch mit dem Standard: "Ich kann in meiner letzten Sitzung das tun, was ich immer wollte. Ich freu mich riesig. Jetzt kann ich beruhigt meine Augen schließen und gehen."
Freude hat Faymann mit seinem Schwenk auch bei den Oppositionsparteien ausgelöst. Sie sind jetzt das Zünglein an der Waage und wittern die Chance, noch weitere Forderungen durchzubringen. In den Parteien wurden am Montag bereits Strategien entworfen, welche Mehrheiten bei welchen Punkten möglich wären.

Ganz einfach wollen es die Kleinparteien Faymann aber nicht machen. In der FPÖ hieß es informell, die Studiengebühren, für deren Abschaffung man zwar grundsätzlich ist, seien für die Freiheitlichen kein topprioritäres Thema. Dem Vernehmen nach will man von der SPÖ im Gegenzug ein Entgegenkommen bei EU-Themen fordern. Offiziell ist das Junktim zwar nicht, FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache kündigte aber bereits an, dass die Forderung nach einer sofortigen Volksabstimmung über den EU-Reformvertrag und die Frage des EU-Beitritts der Türkei Thema sein werden. Die FPÖ sei zwar für eine Entlastung der Bevölkerung zu haben, aber nicht bereit, "einer dahinsiechenden SPÖ über die Ziellinie zu helfen" .

Ersatz für Studiengebühr

Die Grünen werden jedenfalls für eine Abschaffung der Studiengebühren stimmen, kündigte Parteichef Alexander Van der Bellen an. "Die SPÖ schwenkt damit endlich auf eine zentrale Forderung der Grünen ein. Das ist ein schöner Erfolg" , sagt er. Den Unis müsse aber gleichzeitig der Einnahmenausfall in der Höhe von 150 Millionen Euro ersetzt werden, forderte Van der Bellen.
Bei den anderen Forderungen dürfte es die Faymann-SPÖ leichter haben, Mehrheiten zu bekommen. Die Halbierung der Mehrwertsteuer auf Lebensmittel wurde sowohl von der FPÖ als auch vom BZÖ gefordert. Und wenn keine größere Krankheitswelle im Parlament ausbricht, hat auch diese Konstellation eine Mehrheit. BZÖ-Chef Peter Westenthaler will freilich auch einen Antrag auf Senkung der Mehrwertsteuer auf Medikamente einbringen, kündigte er im Standard-Gespräch an.
Bei der Verlängerung der Hacklerregelung und der Erhöhung des Pflegegeldes muss sich Faymann eigentlich gar keine neuen Mehrheiten suchen. Bei diesen Punkten gab es auf Regierungsebene bereits einen Kompromiss mit der ÖVP.

Das Gleiche gilt auch für die 13. Familienbeihilfe. ÖVP-Chef Wilhelm Molterer kündigte bereits eine parlamentarische Initiative dazu an. Er will die 13. Familienbeihilfe freilich nur für Kinder über sechs Jahren. Will SPÖ-Spitzenkandidat Faymann auch den roten Wunsch nach einer 13. Rate für unter Sechsjährige durchbringen, braucht er dazu wieder die Opposition. Hier haben sich sowohl Grüne, wie auch FPÖ und BZÖ aufgeschlossen gezeigt. Umgekehrt wollen die Oppositionsparteien auch der ÖVP Angebote machen, um gemeinsame Beschlüsse zu ermöglichen. Mit Blau-Orange wären etwa im Sicherheitsbereich oder Familienbereich Einigungen denkbar (siehe Molterer-Pläne unten).

"Das ist letztklassig"

Für Wissenschaftsminister Johannes Hahn (ÖVP) ist der Faymann-Plan ein Dammbruch: "Offensichtlich gilt nur noch das gebrochene Wort. Abgesehen davon, dass es schlechter, populistischer Stil ist, ist das sozial-, bildungs- und fiskalpolitisch eine Katastrophe." Der Einnahmenentfall von 150 Millionen Euro stürze "die Unis ins Chaos. Das sind fast acht Prozent des gesamten Uni-Budgets weniger. Das ist wirklich letztklassig" , sagte Hahn zum Standard.

Gefragt, ob die Wiedereinführung der Studiengebühren eine Koalitionsbedingung für die ÖVP wäre, kommt vom ÖVP-Minister ein klares "Ja sicher. Aber nach der Aktion mache ich mir eh keine Gedanken mehr, ob es noch eine große Koalition geben könnte." (Lisa Nimmervoll Günther Oswald/DER STANDARD Printausgabe, 26. August 2008)