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Trauernde Angehörige erheben schwere Vorwurfe gegen Spanair.

Madrid - Trauer, Wut und Verzweiflung: Nach der Madrider Flugzeugkatastrophe haben Angehörige der 153 Toten schwere Vorwürfe gegen Spanair und die spanische Regierung erhoben. Auf einem spannungsgeladenen Treffen warfen sie Vertretern der Fluggesellschaft mangelnde Sorgfalt bei der Wartung der Maschinen vor. "Viele von uns erhielten vor dem Absturz von unseren Verwandten SMS aus dem Flugzeug, dass mit der Maschine etwas nicht stimmte", sagte einer der Hinterbliebenen.

Verwechslung der Toten befürchtet

Mehrere Angehörige äußerten nach Presseberichten vom Samstag die Befürchtung, dass es bei der Identifizierung der Toten zu Verwechselungen kommen könne. Diese Befürchtung rührt daher, dass im Jahr 2003 nach dem Tod von 62 spanischen Soldaten bei einem Flugzeugabsturz in der Türkei einem großen Teil der Hinterbliebenen die falschen Leichen übergeben wurden.

Javier Nunez, der in Madrid vier Verwandte verlor, verließ aufgebracht ein Treffen mit der Vizeregierungschefin Maria Fernandez de la Vega und schimpfte: "Wir wollen hier keine Politiker mehr sehen. Wir wollen endlich wissen, was wirklich passiert ist." Am Mittwoch war beim schlimmsten Unglück in der spanischen Luftfahrt seit 25 Jahren eine Spanair-Maschine unmittelbar nach dem Start in Madrid abgestürzt. 153 Menschen kamen ums Leben, 19 wurden verletzt.

Prügelei verhindert

Die Verzweiflung unter den Angehörigen erreichte ein solches Ausmaß, dass Polizisten und Psychologen einschreiten mussten, um eine Prügelei zu verhindern. Die Verantwortlichen von Spanair wurden als "Lügner" und "Halsabschneider" beschimpft. Die Angehörige eines Opfers sagte: "Am Ende wird man die Schuld dem Piloten geben. Der ist tot, und die Sache wird im Sande verlaufen."

Die Angehörigen konnten sich nach Angaben eines Anwalts nicht auf die Gründung einer Organisation zur Vertretung ihrer Interessen verständigen. Ihnen stehen nach dem Gesetz wenigstens 127.000 Euro Entschädigung für jedes Opfer zu. Spanair zahlt ihnen nach Presseberichten einen Vorschuss von jeweils 25.000 Euro.

Bei der Untersuchung der Unglücksursache wurde ein Techniker, der die Unglücksmaschine zum Start freigegeben hatte, von einer Expertenkommission und von der Polizei vernommen. Er sagte nach Medienberichten aus, dass das Flugzeug vor dem Unglück einen Start wegen einer Panne an einem Fühler der Außentemperatur abgebrochen habe. Daraufhin sei der Fühler gemäß den Vorschriften abgestellt worden. Mit dem Absturz könne dies nichts zu tun haben.

Triebwerksbrand als Auslöser fraglich

Aufgrund von Augenzeugenberichten war man davon ausgegangen, dass beim Start ein Triebwerk der zweistrahligen Maschine in Brand geraten war. Diese Annahme wurde durch ein Video infrage gestellt. Nach Angaben der Zeitung "El Mundo" erwägen die Experten nun zwei andere Hypothesen: Entweder lösten sich von einem Triebwerk beim Start Teile, die das Leitwerk beschädigten; oder die Maschine erlitt an beiden Motoren einen plötzlichen Leistungsabfall. Das Flugzeug vom Typ MD-82 hatte laut Wetteramt beim Start leichten Rückenwind, was das Abheben erschwert.

Die ersten Opfer wurden in ihren Heimatorten in verschiedenen Regionen Spaniens beigesetzt. Tausende von Menschen erwiesen den Toten die letzte Ehre. Ärger gab es um die offizielle Trauerfeier, die am 1. September in der Madrider Almudena-Kathedrale stattfinden wird. Protestanten und Muslime beklagten, dass die Feier als katholischer Gottesdienst abgehalten werden soll.

Innenminister Alfredo Perez Rubalcaba kündigte an, dass die Identifizierung der Toten - bis auf wenige Ausnahmen - noch an diesem Wochenende abgeschlossen werden solle. Bei den Opfern aus dem Ausland könne die Feststellung der Identität etwas länger dauern, weil genetisches Material für den DNA-Abgleich beschafft werden müsse. Das Flugzeugunglück beschäftigt auch das spanische Parlament. Verkehrsministerin Magdalena Alvarez wird die Abgeordneten am kommenden Freitag über die Katastrophe unterrichten. (APA/dpa)