Kein Anhaltspunkt hilft. Nähe und Ferne verschwimmen. Es bleibt nur das Eis: Darren Almonds "Arctic Plate 14" (2003).

Foto: White Cube, London

Es ist heute wie damals. Alpine Landschaften, schneebedeckte Gipfel und unberührte Gletscher sind auch 150 Jahre nachdem das Besteigen der unwirtlichen Gebirge sich wachsender Beliebtheit erfreute, Orte der Projektion, Sehnsuchtsorte.

Vorstellungen, die sich auch in den fotografischen Abbildungen der entlegenen Orte wiederfinden: etwa in jenen Aufnahmen, die Gustav Jägermayer bei der ersten Fotoexpedition ins Großglocknermassiv 1863 gemacht hat und - invers - in Walter Niedermayrs zeitgenössischen Gegenbildern zu den Romantikfantasien. Der Südtiroler stellt den Betrachter mit seinen nüchternen Gletscherfotos, auf denen schon einmal Bagger die vermeintliche Idylle stören (Felskinn I, 1997), vor die Frage, ob sich die dokumentierte Realität mit ihren Vorstellungen deckt.

Vorrangig ging es Kuratorin Monika Faber bei der Auswahl der Zeitgenossen aber darum, dass die Künstler sich, ebenso wie die Pioniere des 19. Jahrhunderts, mit fotografischen Wahrnehmungsphänomenen beschäftigen. Bei Niedermayr, der zu den Hauptvertretern einer neuen kritischen Landschaftsinterpretation zählt, ist es das Brechen der Illusion. Fotografie würde die Welt realistisch wiedergeben. Seine mehrteiligen Alpenpanoramen, deren Rahmung zugunsten des Gesamtwirkung aller Bildteile zurücktritt, sind aber nur scheinbar ein nahtloses Gefüge. Bei genauer Betrachtung erkennt man in der Überlappung von Strukturen die räumlichen und zeitlichen Brüche. Denn während Niedermayr den Kamerastandpunkt geringfügig verschoben hat, ist oft auch die "Staffage" weitergewandert, erhält das Panorama einen narrativen Charakter.

Der Brite Darren Almond nutzt die entlegene Weite des Eises zu seinen konzeptuellen Untersuchungen von Zeit-Raum-Gefügen: Was bedeuten 13 Minuten nächtliche Reise über das Eis (Arctic Pull, 2003) innerhalb der Wochen dauernden arktischen Nacht? In Until MMXLI (2002) thematisiert er nicht nur die Zeitspanne bis 2014, wenn die Autonomie der Antarktis und damit ihr Schutz vor Ausbeutung endet, sondern auch die Zeit, die man benötigt, um ein solches Foto in einer antarktischen Vollmondnacht zu machen.

Die Faszination für unterschiedliche Licht- und Materialqualitäten und für den veränderten Blick auf Dinge, die man ohnehin kennt, ist in den Fotoserien, die Olafur Eliasson von Island - wo der Däne einen Teil seiner Kindheit verbracht hat -, deutlich spürbar. Erkannte man um 1860 bei der Darstellung von Oberflächen (Strukturen von Felsen gegen Eis), die Vorteile der Fotografie gegenüber der Zeichnung, so greift Eliasson in seinen Cartographic Series IV (2007) bewusst auf die Fotogravure zurück. Eine Technik, die den Gletscherstrukturen außerordentlich grafische Qualitäten verleiht. (kafe / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 22.8.2008)