Autor und Regisseur Arman T. Riahi bringt im Oktober die Web-Serie "Neue Wiener" heraus.

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"Iyi akşamlar!" - "Guten Abend!" Um 19:30 begrüßt zur Nachrichtensendung Zeit im Bild auf ORF 2 statt Hannelore Veit eine Muslimin mit Kopftuch die Zuseher und berichtet Neuigkeiten aus der Türkei. Die TV-Sendung "Frisch gekocht" heißt auf einmal "Frisch gegrillt" und präsentiert kulinarische Spezialitäten vom Balkan. So könnte der ORF aussehen, würde sich die demographische Verteilung in Österreich im Sendeprogramm widerspiegeln. "Eigentlich sollte sich ein öffentlich-rechtlicher Sender dadurch auszeichnen, dass er Leute nicht nur unterhält, sondern auch zum Nachdenken darüber bringt, wie unsere Gesellschaft aussieht", sagt Regisseur und Drehbuchautor Arman T. Riahi.

Mit der "Ausländer-TV-Box" legte er dem ORF einen Plan vor, wie MigrantInnen in die bestehende Senderstruktur integriert werden könnten. "Wir hätten die Sendungen an ihren Plätzen belassen und so getan, als ob die MigrantInnen schon seit Jahren wie selbstverständlich im Sendeprofil eingebaut wären", erklärt Riahi das Konzept.

"Es geht ganz einfach um Quote"

Der ORF kam auf die Neue Sentimental Film zu und lud dazu ein, sich Gedanken zu dem Thema zu machen. "Ich denke, die Sendeverantwortlichen haben eingesehen, dass der Anteil an jungen erwachsenen MigrantInnen der zweiten und dritten Generation wächst. Sie werden langsam, aber doch zu einem wichtigen Faktor in der Zuschauerverteilung. Es handelt sich hier nicht nur um einen Interessenskonflikt für den ORF, sondern es geht auch um die Quote", meint der Künstler. "Heimat, fremde Heimat" (Sonntag, 13:30 Uhr auf ORF 2, Anm.) ist im Moment die einzige Sendung, die sich ausschließlich mit Migrationsthemen beschäftigt. "Das spricht die jungen Leute nicht wirklich an, schon allein wegen der Sendezeit", meint Riahi.

"Nicht nur Mehrheitsbevölkerung erreichen"

Zahlen bestätigen Riahis Vermutung. Eine Befragung unter 2.000 MigrantInnen ergab, dass diese das ORF-TV-Angebot nur wenig nutzen, meinte Generaldirektor Alexander Wrabetz bei einer Pressekonferenz im April. Lediglich 20 Prozent der Menschen mit türkischen Wurzeln sehen regelmäßig ORF 1 oder ORF 2, während es unter den Österreichern über 90 Prozent sind. "Wir dürfen nicht nur die Mehrheitsbevölkerung erreichen, hier gibt es Nachholbedarf", meinte Wrabetz. Einen neuen Anlauf, die Zielgruppe junger MigrantInnen zu erreichen, wird mit der Sendung "Tschuschen Power" unternommen. Fünf Folgen soll es geben.

Regisseur Riahi wollte die Thematik jedoch nicht nur auf eine Sendung beschränken. "Mein Zugang war anders. Ich wollte die MigrantInnen in die unterschiedlichen Redaktionen und Sparten einbeziehen und sie ihre Projekte selbst entwickeln lassen. Sie sollen entsprechend ihrem Anteil in der Bevölkerung auch in der ganzen Unternehmensstruktur zur Geltung kommen." Viele junge Leute seiner Generation hätten noch immer nicht die Möglichkeit, in den Medien einen Arbeitsplatz zu finden, meint Riahi.

Veränderungen vorsichtig angehen

"Bei die Neue Sentimental Film gibt es eine Crew von guten Leuten. Da weht ein frischer Wind", sagt Robert Altenburger von der ORF Programmentwicklung und Innovation. Die Verantwortlichen beim ORF hätten das Konzept durchaus kreativ und erfrischend gefunden und Potential erkannt. Gründe, warum die Ausländer-TV-Box nicht umgesetzt wurde, nennt Altenburger nicht: "Kein Kommentar." Dass die Quote eine Rolle gespielt hat, weist Altenburger aber gegenüber derStandard.at zurück: "Definitiv nicht. Da wären wir unserer Zeit sehr hinterher. Bei neuen Programmentwicklungen steht im Vordergrund, dass wir ein professionelles Produkt haben wollen." In Zukunft solle es aber, so Altenburger, mehr Programme geben, die junge MigrantInnen ansprechen. Besonders im Magazinbereich werde es Veränderungen geben. Auch mit die Neue Sentimental Film ist der ORF im laufenden Kontakt. "Wie alle Entwicklungen gehen wir auch diese vorsichtig an, da Fernsehen viel Geld kostet." Außerdem habe man beim ORF die Erfahrung gemacht, wenn eine neue Sendung nicht sofort rund ist und perfekt funktioniert, mit herber Kritik zu rechnen ist.

M-Media erhebt Zahlen zu MigrantInnen in Medien

Der ORF betont, dass er auch mehr JournalistInnen-Nachwuchs mit Migrationshintergrund will. So wies Generaldirektor Wrabetz Ende April ebenfalls darauf hin, dass der ORF in Zukunft bei der Personal-Rekrutierung mehr Augenmerk auf Menschen mit Migrationshintergrund legen werde. Eine formale Regelung für mehr MigrantInnen am Moderatorenpult werde es laut Wrabetz im ORF aber nicht geben.

Zahlen, wie multikulturell Österreichs Redaktionen sind, gibt es bislang nicht. M-Media, ein Verein, der eine Brücke zwischen österreichischen Mainstream Medien und MigrantInnen schlagen will, plant gemeinsam mit den zuständigen österreichischen Universitäten eine Studie mit dem Titel "Die ethnische Diversität der Redaktionen von österreichischen Mainstream Medien". "Wir planen die Studie 2009 zu veröffentlichen", sagt Vorstand Simon Inou auf Anfrage von derStandard.at.

"Man darf ja wohl noch träumen"

Dass die Umsetzung seines Projekts kompliziert sein würde, sei Riahi klar gewesen: "Aber man darf ja wohl noch träumen." Er ist von seinem Konzept dennoch überzeugt: "Das wäre die Möglichkeit gewesen, drei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen. Erstens wären die MigrantInnen ins Sendeschema integriert worden, zweitens hätten wir neue Zuseher gewonnen: Die jungen MigrantInnen." Und drittens wären so die alteingesessenen ZuschauerInnen der Sendungen auf die zugewanderten Mitbürger und ihre Kulturen aufmerksam geworden, meint Riahi: "Also ein Mix-Up der Kulturen, und die Spielwiese ist das gesamte ORF-Sendeschema."

Ein neues Projekt entsteht gerade: Riahi schrieb das Drehbuch und führt Regie bei der Web-Sendung "Neue Wiener". Darin wird einen Freundeskreis von jungen Erwachsenen porträtiert, die in Wien leben und zwischen zwei Kulturen pendeln. Sendestart ist Oktober. Riahi hofft darauf, dass die Medienlandschaft dynamischer wird: "Es wird mehr um Positionen gekämpft, als darum, progressive und innovative Sendungsideen zu realisieren. Das Publikum hat aber neue Sehbedürfnisse und man muss sich dem anpassen." (Julia Schilly, derStandard.at, 26. August 2008)