Russland hätte wie die USA im Jugoslawien-Krieg vorgehen müssen und mehr Infrastruktur in Georgien zerstören sollen, sagt der russische Analytiker Ruslan Puchow zu Verena Diethelm.

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STANDARD: Warum gibt es beim Rückzug der russischen Armee aus Georgien Verzögerungen? Hat das technische Gründe oder stehen politische Motive dahinter?

Puchow: Dazu kann ich nichts sagen, weil ich nicht vor Ort bin.

STANDARD: Aber hat Russland denn nun seine militärischen Ziele in Georgien erreicht?

Puchow: Nachdem die Aggression von Georgien ausgegangen ist, war ein Militäreinsatz Russlands vollkommen klar. Als Militärexperte und ungeachtet der humanitären Konsequenzen muss ich sagen, dass Russland viel mehr zerstören hätte müssen. Vielleicht nicht gerade den Präsidentenpalast. Das hätte zu viele Bilder auf CNN gegeben. Russland hat seine Ziele daher nur teilweise erreicht. Einerseits wurde Georgien militärisch besiegt, andererseits wurde die georgische Militärmaschinerie nicht zerstört.

STANDARD: Wie hätte Russland seine Ziele erreichen können?

Puchow: Russland hätte wie Israel im Libanon-Krieg oder die USA 1999 im Jugoslawien-Krieg vorgehen müssen. Die Bevölkerung hätte 24 Stunden vorher informiert werden sollen, damit sie evakuiert werden können. Und dann hätte man die militärischen Einrichtungen und die Infrastruktur zerstören müssen: Kraftwerke, Telefonleitungen, Brücken etc.

STANDARD: Was hat Russland gehindert, derart hart gegen Georgien vorzugehen?

Puchow: Russland war zu weich, aus politischen Überlegungen heraus. Der internationale Druck auf Russland ist gewaltig. Deswegen verstehe ich nicht, warum Russland jetzt vom Westen die Schuld zugeschoben bekommt. Wenn Russland nachgibt, dann könnte das sehr negative Folgen für Dmitri Medwedew und Wladimir Putin haben. 75 Prozent der russischen Bevölkerung unterstützen die russische Militäraktion in Georgien, und viele sind der Meinung, wir hätten bis Tiflis gehen sollen.

STANDARD: Glauben Sie denn, dass Georgien für Russland eine Bedrohung darstellt?

Puchow: Nein, keine direkte Bedrohung. Aber Georgien steht an zweiter Stelle bei den Rüstungsausgaben pro Kopf. Das Militärbudget wurden in den vergangenen drei Jahren um das 30fache erhöht. Saakaschwili kann innerhalb von drei bis vier Jahren seine Armee wiederaufbauen.  (DER STANDARD, Printausgabe, 22.8.2008)