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Als den Lübeckern die Kaufmannswirtschaft zu bunt ward: Tony (Sandra Cervik) und Thomas Buddenbrook (Gabriel Barylli).

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Bregenz - Thomas Mann ist ein ergiebiger literarischer Steinbruch mit vielen motivischen Goldadern. Wenn Filmkünstler und andere Nachlassverwerter die Prosagebirge abklopfen, dürfen sie mit regem Publikumsinteresse rechnen - ebenso die Aufbereiter diverser lebensbunt-dekadenter Mann-Familienbiografien.

Herbert Föttinger trifft beim traditionellen Bodensee-Gastspiel der Josefstadt im Kornmarkttheater zwei Fliegen auf einen Schlag. Der gewiefte Theatermann mit untrüglichem Publikumsinstinkt überblendet John von Düffels reißerische Dramatisierung der Buddenbrooks mit sicher sitzenden Abziehbildeffekten. So darf Christian Buddenbrook, von Michael Dangl mit Verzweiflungstönen und grellen Außenseiterallüren ausgestattet, sich die Heroinnadel setzen und an blanke Männerkörper sinken, ganz wie es in der Fernseh-Serien-Bio Klaus Mann tat.

Joachim Bißmeier ist als unerbittlicher Patriarch und Lübecker Konsul zum betont trockenen Spiegelbild des Großschriftstellers stilisiert - im unglücklich rutschenden Geschwisterdreieck der Firmenabwirtschafter blühen prachtvoll drastisch die Leidenschaften und Laster des berühmt-berüchtigten Mann-Clans. Abzüglich der Darstellerqualitäten etwa von Sandra Cervik, die als Tochter Tony das plastische Bildnis einer aus Wirtschaftsgründen brutal verkuppelten, in den Cognac flüchtenden Tochter gibt, wäre diese Neuproduktion ein Beispiel für pure theatralische Seifenproduktion.

Gabriel Barylli ist ein weiterer Solitär in einer Schauspielerkette ohne Schwachpunkte. Sein Thomas Buddenbrook ist die Schreckensstudie einer unmenschlichen, alle seelischen Regungen bei sich und anderen abtötenden Geldkreatur. Else Ludwig fügt ins Panorama deformierter Psychen eine innerlich eiskalt-bigotte Konsulin.

Auch die kleineren Rollen sind beachtlich besetzt. Sona McDonald erfriert als Künstlernatur förmlich an der Seite ihres von Bilanzen besessenen Gemahls. Siegfried Walther mimt als Bankrotteur Grünlich das personifiziert Unsympathische. Toni Slama ist ganz gnadenloser Geldfallensteller, Peter Scholz treibt die Karikatur eines vierschrötigen Hopfenhändlers auf die Spitze. Alles beeindruckende Monster und Miniaturen, die zwischen den schwarz getäfelten Schiebewänden von Rolf Langenfass wie in einem Wohnsarg ein Fledermausdasein führen.

Es ist ein Vergnügen, den Figuren beim freien Fall aus den bürgerlichen Sicherungssystemen zuzusehen. Nicht funktioniert allerdings die Sektion der kapitalistischen Entfremdung. Buddenbrooks ist eben nur die geschickte Instantfassung eines großen Lesekunstwerks. Wie jede Verkürzung eines Originals ist es auch eine Verramschung. Die tragische Lübecker Familiensaga ist in dieser Häppchenportionierung letztlich doch nur Unterhaltung. Je gelungener die Umsetzung solcher überall grassierender Popularisierungsprodukte ist, desto größer der Betrug. In Bregenz war das Gefühl kaum zu unterdrücken, Mann wäre ein glänzender Drehbuchschreiber für Vorabend-Soap-Operas gewesen. (Anton Gugg, DER STANDARD/Printausgabe, 19.08.2008)