Salzburg - Als Franz Liszt seine h-Moll-Sonate im Sommer 1853 in seinem Haus in Weimar vor geladenen Gästen - unter ihnen auch Johannes Brahms - zum Besten gab, beobachtete er, wie sein Komponistenkollege während des mit "quasi adagio" bezeichneten Teiles selig einschlief.

Dazu hätten die Besucher des Solistenabends, den Maurizio Pollini am Samstag im Großen Festspielhaus gegeben hat und den er mit derselben Liszt-Sonate abschloss, wohl eher Grund gehabt. Mit Beginn um 21 Uhr und einem Programm, das auch Schumanns rares Concert sans orchestre op. 14 und Chopins b-Moll-Sonate mit dem berühmten Trauermarsch umfasste, erstreckte er sich immerhin über zwei lange Nachtstunden, über die man annehmen könnte, beim Solisten und beim Publikum ließe die Konzentration wohl schon nach.

Nicht so, wenn sich Pollini ans Klavierwerk begibt. Man hätte im Zuschauerraum die berühmte Stecknadel fallen hören können. Zum Glück hörte man aber nur Pollinis sachliche, technisch fulminante Musterinterpretationen. Schumann geriet emotional restriktiv, dafür wurden die thematischen Verzahnungen ohne jede analytische Aufdringlichkeit gut hörbar gemacht. Auch bei Chopin deutete er die diversen Gemütserregungen nur im Konjunktiv an.

Franz Liszts abschließende h-Moll-Sonate geriet vollends zum exemplarischen Beispiel einer Wiedergabe, die durch emotionelle Askese viel stärkere Wirkungen erzielt als mittels eines sicht- und hörbar demonstrierten Pathos. Liszts Werk wurde gleichsam in ein stilistisches Vakuum gestellt, in dem dessen bahnbrechende Neuheit auch noch nach eineinhalb Jahrhunderten als bestürzende Gegenwart empfunden wird. Seine Anknüpfungspunkte an die Tradition wurden ebenso erkennbar wie seine Verweise in eine die formalen und harmonischen Verbindlichkeiten lockernde Zukunft.

Johannes Brahms hätte sich der Faszination dieser vom Publikum bejubelten Wiedergabe wohl auch nicht entziehen können und wäre vielleicht doch nicht eingeschlafen. Wozu er bei einem ausschließlich seinem Liedwerk gewidmeten Abend, in dem Thomas Quasthoff und András Schiff am Freitag die Neun Lieder und Gesänge op. 32 und die Romanzen aus Tieck's Magelone op. 33 zur Aufführung brachten, bei allem Respekt vielleicht eher Gelegenheit gehabt hätte.

Unter diesen Liedern findet sich nämlich nur ein einziger melodischer Selbstläufer, wie es etwa das Wiegenlied op. 49/4 ist. Sie versuchen, die Stimmung der Texte zu intensivieren und sind dabei auf Gedeih und Verderb dem Interpreten ausgeliefert. Und bei Thomas Quasthoff natürlich bestens aufgehoben. Jedes im Text verborgene emotionale Krümel und jeden Ansatz einer etwas weitläufigeren Thematik hat er mit virtuoser, auch beinah falsettierende Kopftöne einsetzender Technik verwertet und mit hervorhebenswerter Wortdeutlichkeit gestaltet. András Schiff war ihm dabei ein ebenbürtiger Partner, der sich jedoch nie in den Vordergrund spielte.

Auch der russische Pianist Nikolai Lugansky ließ seinem Landsmann, dem Violinstar Vadim Repin, am Donnerstag im Haus für Mozart bereitwillig den Vortritt, als dieser mit Béla Bartóks Rhapsodie für Violine und Klavier Nr. 1, gefolgt von Ludwig van Beethovens Kreutzersonate und der A-Dur-Sonate für Violine und Klavier von César Franck brillierte. Abgesehen davon, dass es nach jedem Satz der Beethoven-Sonate Szenenapplaus gab, zügelte auch Repin seine Emotionen zu einer von Technik dominierten Sachlichkeit. Nur beim abschließenden Werk von César Franck brach sich ein vom Stil her auch diktiertes Schwelgen in satten Klängen die Bahn. (Peter Vujica / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.8.2008)