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Ein Golfer marschiert über Englands Grün vor dem Kraftwerk Sellafield, dem Ort einer umstrittenen Wiederaufbereitungsanlage.

Foto: Reuters/Chung

London - Wirtschaftsminister John Hutton gab sich staatsmännisch. "Enttäuscht" sei man natürlich, lautete der Kommentar des für Energie zuständigen Kabinettsmitglieds, als kürzlich die Übernahme des Atomkraftwerkbetreibers British Energy (BE) durch den französischen EdF-Konzern in letzter Minute platzte. "Wir hielten es für einen guten Deal und wollten akzeptieren." Schließlich sei EdF der weltweit größte Betreiber von Nuklearmeilern - ein ersehnter Partner für BE, dessen Kraftwerke technisch veraltet und überholungsbedürftig sind. Nach mehreren Störfällen musste das Unternehmen, an dem der britische Staat rund 36 Prozent der Aktien hält, vergangene Woche deutliche Umsatz- und Gewinn-Einbußen bekanntgeben, die Aktie sackte auf 709,5 Pence ab.

Angebot nicht ausreichend

Doch anders als der Großaktionär Staat hielten die zwei Finanzinvestoren Investco und M&G Prudential, denen gemeinsam knapp ein Viertel des Unternehmens gehört, das EdF-Angebot von 765 Pence pro Aktie für nicht ausreichend. Für Minister Hutton stellte ihre Ablehnung in letzter Minute den größtmöglichen politischen Schaden dar. Das EdF-Management, dessen Vorstoß erklärtermaßen die Rückendeckung von Staatspräsident Nicolas Sarkozy genießt, reagierte verärgert. Dem Londoner Schatzkanzleramt fehlen die knapp vier Milliarden Pfund in der Kasse, die durch den BE-Verkauf fällig geworden wären. Und die von Hutton sowie Premierminister Gordon Brown vorangetriebene Renaissance der britischen Nuklearindustrie kommt nicht vom Fleck. Derzeit decken die 16 Atomreaktoren auf der Insel im Volllastbetrieb knapp 20 Prozent des britischen Strombedarfs; neue Kraftwerke könnten nach Angaben von EdF frühestens Ende 2017 ans Netz gehen.

Finanzielle Belastung unklar

Wie viel die erhoffte Atom-Renaissance kosten wird und welche Belastung dabei auf den britischen Steuerzahler zukommt, bleibt in der öffentlichen Diskussion unklar. Regierung und Energiekonzerne behaupten unisono, Subventionen zum Reaktorbau würden weder verlangt noch vergeben. Fest steht allerdings: Die Entsorgung bisheriger Atomanlagen kam stets teurer als geplant. Die halbstaatliche Aufsichtsbehörde NDA musste ihre Prognose für die Beseitigung aller derzeit betriebenen Atomanlagen mehrfach nach oben korrigieren; derzeit ist von 73,6 Milliarden Pfund (92,7 Mrd. Euro) die Rede. Zwei Drittel dieser Kosten entfallen allein auf die umstrittene Wiederaufbereitungsanlage im nordenglischen Sellafield. Diese soll nach dem Willen der NDA von einem Konsortium aus dem französischen Areva-Konzern, Großbritanniens Amec sowie der US-amerikanischen Washington Group betrieben werden; derzeit verhandeln die Konsortialpartner über die Details des zunächst auf fünf Jahre begrenzten Vertrags im Wert von fünf Milliarden Pfund.

Finnisches Projekt

Auf besonderes Interesse in Großbritannien stoßen deshalb die Schwierigkeiten des Areva-Konzerns beim Bau des finnischen Atommeilers Olkiluoto. Das Projekt ist schon zwei Jahre verspätet, wird zudem mindestens eine Milliarde Euro teurer als veranschlagt.

Für unzureichend hält der britische Unternehmerverband CBI jedenfalls die Ingenieursausbildung auf der Insel. Zu wenige Schüler interessierten sich für die Naturwissenschaften, zu wenige Abiturienten strebten eine Ingenieurs-laufbahn an, glaubt CBI-Chef Richard Lambert. Der Lobbyist sieht durch Großprojekte wie Atomkraftwerke, den geplanten Eisenbahntunnel durch London sowie die Bauarbeiten für die Olympischen Spiele 2012 zwar "eine industrielle Renaissance", aber: "Ich frage mich, ob für unsere Bürger mehr abfällt, als den Beton zu gießen." In den nächsten sechs Jahren sollen auf der Insel dem CBI zufolge mehr als zwei Millionen neuer Jobs entstehen, die mathematisches oder naturwissenschaftliches Spezialwissen erfordern. (Sebastian Borger, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 18.8.2008)