Bill Bertram

Der erste dokumentierte Bug der Geschichte war noch greifbar: Die Softwarepionierin Grace Hopper klebte eine Motte, die Störungen im Großrechner Mark II verursacht hatte, in ihr Tagebuch – noch heute zu besichtigen. Hardware und Software waren am Anfang der technischen Entwicklung sehr viel präsenter. Computer füllten ganze Räume, Software bestand aus Lochkarten und Programmieren war körperliche Arbeit mit Kabeln und Steckern. Seitdem sind über 60 Jahren vergangen, in denen sich die Computerwelt grundlegend änderte. Software und die damit erstellten Inhalte wurden immer mehr zu flüchtigen elektronischen Impulsen.

Kommunikation war der Anfang

In den Fünfzigerjahren ging es zunächst darum, sich den Maschinen verständlich zu machen. Die ersten Programmiersprachen – beispielsweise FORTRAN oder COBOL – waren darauf ausgelegt, computergerechte Routinen zu schreiben. Auf dieser Grundlage entstanden Programme für die Computersteuerung, die zu Systemsoftware-Paketen zusammengefasst wurden: die Vorläufer der Betriebssysteme. 1969 erschien das erste Betriebssystem, UNIX, das zeitgleiches Arbeiten mehrere Anwender ermöglichte und auf neue Computer portiert werden konnte. Ende der Sechzigerjahre wurden grundlegende Verbesserungen der Zusammenarbeit zwischen Mensch und Maschine, wie etwa die Maus, entwickelt. Der Computer entwickelte sich mehr und mehr von einem Rechner zu einem Kommunikationspartner.

Kostenlose, individuelle Problemlösung im Lieferumfang

Computer und Software gehörten zusammen – sie sollten bestimmte Probleme oder Aufgabenstellungen lösen. Programmierer schrieben die dafür notwendigen individuellen Programme. Computerhersteller und -kunden gingen gleichermaßen davon aus, dass die Software kostenlos mit dem Computer auszuliefern sei. Niemand sah ein wirtschaftliches Potenzial in standardisierten Computerprogrammen. Der Verkauf von Software erbrachte 1970 einen Umsatz von 0,5 Milliarden Dollar; das entsprach einem Anteil von vier Prozent am Gesamtumsatz der damaligen Computerindustrie.

Der Umbruch kam Anfang der Siebzigerjahre. Luanne Johnson, die damals die Softwarefirma Argonaut leitete, erinnert sich, dass sie plötzlich gegen andere Software-Unternehmen konkurrierte. Statt wie bisher den Kunden von den Vorteilen standardisierter Programme zu überzeugen, konnte sie damit beginnen, ihr Produkt im Wettbewerb abzugrenzen. Der Weg für eine Softwareindustrie, die Anwendungen von der Stange für einen Massenmarkt herstellt, war geöffnet.

Turbulenzen durch die große Softwarekrise

Einer der Auslöser für diese Entwicklung war die Softwarekrise von 1967/68. Die individuelle Programmierung war so teuer geworden, dass vor allem die großen Firmen wie IBM diese Kosten nicht mehr auf die Hardwarekosten aufschlagen konnten. Dazu kam, dass die staatlichen Aufsichtsbehörden Untersuchungen zur Verbindung von Hardware- und Softwareproduktion eingeleitet hatten. Deshalb erklärte IBM Ende 1967, Entwicklung und Vertrieb von Programmen von der Hardwareherstellung zu trennen.

Software hält Einzug in den Alltag

Der Mikroprozessor – den Intel 1971 auf den Markt brachte – ermöglichte einen Platz sparenden Computer. Das war der Grundstein für den Personal Computer: ein Mensch – eine Maschine. Mit dem Einzug des Computers ins tägliche Leben stieg auch die Nachfrage nach Computerprogrammen sprunghaft an, und bescherte der Softwareindustrie ein spürbares Umsatzplus. 1979 betrug der Umsatz bereits 2 Milliarden Dollar, nach der Einführung von MS DOS, VisiCalc und Word stiegen die Einnahmen 1985 auf 25 Milliarden Dollar. Laut Professor Martin Campbell-Kelly von der Universität Warwick waren es vor allem drei Anwendungsbereiche, die den Computer für eine weitere Verbreitung im Geschäftsalltag interessant machten: Textverarbeitung, Tabellenkalkulation und Datenbankverwaltung. Dass der Personal Computer diese Aufgaben lösen kann, zeigte VisiCalc, das erste Tabellenkalkulationsprogramm, entwickelt 1979 für den Apple II. Microsoft zog Anfang der Achtzigerjahre mit Word und Excel nach. Damit etablierte sich der Computer in allen Bereichen des Lebens.

Der Aufstieg der großen Softwareschmieden

Zu dieser Zeit spielten die heute großen Softwarehersteller noch keine Rolle. Wie so vieles in der Softwaregeschichte wurde auch der Bereich Software für den Personal Computer unterschätzt. Die etablierten Computerfirmen überließen diese Programme jungen Kleinunternehmen. Die Bedingungen für einen Marktzugang waren günstig, und die Programmierer – viele aus den Entwicklungszentren an den Universitäten – brachten die notwendige Kreativität und Flexibilität mit, um Programme an die technischen Bedingungen und Einschränkungen des Mikroprozessors anzupassen.

Andauernder Trennungsstreit von Inhalt und Formatierung

1985 kam der PageMaker auf den Markt. Nur zwei Jahr vorher war die erste Version von Word erschienen, die einfache Textauszeichnungen am Bildschirm darstellen konnte. Der PageMaker veränderte nicht nur das Verlags- und Druckgewerbe grundlegend, mit ihm begann WYSIWYG (What You See is What You Get). War es bisher üblich, Texte mit Steuerbefehlen zu versehen und an den Drucker zu schicken, konnte der Gestalter jetzt am Bildschirm die Ausgabedarstellung sehen. Inhalt und Formatierung kamen in einem Dokument zusammen.

Heutzutage geht es mit der zunehmenden Einführung von Auszeichnungssprachen (SGML, XML und viele andere) wieder darum, Inhalt und Formatierung zu trennen, damit derselbe Text in unterschiedlichen Medien ausgegeben werden kann: Zurück zu den Wurzeln.

Die Schnelligkeit bedroht den Erhalt

Die weltweiten Computernetze sind inzwischen ein Hauptträger der Kommunikation. Damit erfüllen Computer und Software die Anforderung an eine gute Erfindung, die der Wissenschaftler und Entwickler Mark Weiser formulierte: unsichtbar zu werden, indem sie sich bis zur Unkenntlichkeit in das tägliche Leben einfügt.

Die Softwaregeschichte steht erst am Anfang. Gleichzeitig sind die ersten Programme selbst schon Teil der Geschichtsschreibung. Das wirft Fragen auf über die Archivierung von Programmen, Texten in elektronischer Form, aber auch Ideen und nicht zuletzt Fehler und Irrwege für spätere Zeiten. Heutige Bugs kleben in keinem Buch mehr. Die Schnelligkeit der Impulse bedroht die Langlebigkeit der Inhalte. (Markus Drenckhan)