Zwei Jahre haben Polen und die USA erfolglos über die Errichtung eines Raketenabwehrsystems verhandelt. Erst Anfang August waren die Gespräche an den Forderungen Polens gescheitert. Zehn Tage später ist die Welt eine andere. Russland und die USA steuern auf einen veritablen Konflikt zu, dessen Anfang der Krieg am Kaukasus erst gewesen sein dürfte.

Gerade am Höhepunkt dieser Spannungen verkünden Polen und USA die Einigung über den Raketenschild. "Ein guter Schild für schlechte Zeiten" jubelt die polnische Presse. Schlechte Zeiten sind wohl tatsächlich im Anmarsch. Denn Russland sieht im US-Schutzschild eine Bedrohung seiner nationalen Sicherheit. Die Beteuerung der USA, die Raketen sollen vor Schurkenstaaten wie dem Iran schützen, ist vor dem Hintergrund der aktuellen Ereignisse nicht nur für russische Generäle wenig glaubwürdig. Der Zeitpunkt der Einigung lässt den Schluss zu, dass es sich nicht nur um russische Paranoia, sondern um berechtigte Zweifel an den Beweggründen der USA handelt. Auch die Tatsache, dass die Abfangraketen, die in Polen stationiert werden sollen, über zwei Antriebsstufen verfügen und daher anders als die dreistufigen Raketen des nordamerikanischen Abwehrschirms sehr schnell aufsteigen können, spricht dafür, dass der Schild auch gegen Russland gerichtet sein könnte.

Der jüngste Konflikt in Südossetien hat gezeigt, dass Russland gewillt ist, seine Interessen mit aller Härte zu verteidigen. Eine Reaktion Moskaus auf den US-Schild ist nur eine Frage der Zeit. Ob sich Polen und Tschechien auch noch so sicher fühlen, wenn Russland seinerseits Raketen in Kaliningrad oder Weißrussland installiert? (DER STANDARD, Printausgabe, 16.8.2008)