"Wir rocken wieder", wollen R.E.M. (im Bild Frontman Michael Stipe) ihrem Publikum beim Frequency Festival sagen.

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Sie spielen mit ihrer Setlist für Profis und Nebenbeihörer gleichermaßen.

Salzburg - Das Setting macht es der Band natürlich einfach: Bei Konzerten will von Künstlerseite emotionstechnisch beim Publikum angedockt werden, und wenn man denn nun eine Band ist wie R.E.M. und beim Frequency Festival am Salzburgring als Headliner auftritt, muss man zunächst einmal nicht "Hello Austria!", "Good evening, Salzburg!" oder Ähnliches in die Menge rufen. Nein, man kann den passenden Song aus seinem reichhaltigen Repertoire fischen und sogleich mit dem Stück What's the Frequency, Kenneth? vom Album Monster etwas vorhersehbar, naheliegend und der Stimmung sofort positiv zuarbeitend in ein Set starten, das von einer schon im Eröffnungssong manifestierten, explizit "rockig" angelegten Energie beflügelt werden sollte, und mühelos, dem Regen trotzend, die nun fast dreißigjährige Karriere der bestens in Form stehenden Band aus Athens, Georgia, durchlief.

Auch der zweite Song, Living Well Is the Best Revenge aus dem aktuellen, schon vierzehnten Album der Band, Accelerate, scheint druckvoll zu sagen: "Wir rocken wieder!" Nach den vergangenen zehn Jahren in eher mäßiger Kreativität und ebensolchen Alben - das gesteht die Band gerne ein - wurde Accelerate dieses Jahr in seiner knackigen, reduzierten Produktion und neu erstarktem Songwriting vielerorts als Rückkehr zu alten Qualitäten gewertet. So fanden auch fünf weitere Stücke von Accelerate, etwa die Single Supernatural Superserious als erste Zugabe, Einzug in das rund dreiundzwanzig Stücke umfassende Programm.

R.E.M., das Kulturgut: Wenn der Bandname stärker in der öffentlichen Wahrnehmung verankert ist als dessen ursprüngliche Bedeutung, kann man davon ausgehen, dass man es, wie es heißt, geschafft, hat. Dabei wird das Schaffen von R.E.M. - auch von R.E.M. selbst - ja immer gerne in zwei grob umrissene Phasen unterteilt. Die Trennlinie bildet der Gassenhauer Losing My Religion und der damit einhergehende Aufstieg zu endgültigem Weltruhm.

Schon zum Allgemeinplatz verkommen ist die gute alte Geschichte davon, wie R.E.M. Anfang der 80er scheinbar mühelos den Zeitpunkt markierten, an dem zickiger Post-Punk in zunehmend melodieverliebten New Wave überging, und so die alles vorbereitende Grundarbeit für ein Genre verrichteten, das später einmal College-Rock, dann Alternative Rock und, in letzter Konsequenz, auch Alternative Mainstream genannt werden sollte. Immer wieder wird der Einfluss des tatsächlich heute noch gültigen Debütalbums Murmur von 1983 und den folgenden vier, ebenfalls beim Label I.R.S. Records veröffentlichten Alben, die als der "klassische" Werkkorpus gelten, herbeizitiert.

Zufallspublikum bedienen

Wie also auf eine Festivalsituation reagieren, in der man gewohnheitsmäßig auf Zufallspublikum trifft, auf Nebenbeihörer, die R.E.M. möglicherweise bloß als Popmillionäre kennen, und alteingesessene Kenner, die wissen, dass auch gestern früher immer alles besser war? Die Band spielt Stücke aus allen Phasen, älter, mittel, ganz neu. Zwischen Drive, Ignoreland und Imitation of Life funkeln 7 Chinese Bros. oder Fall on Me. Sänger Michael Stipe vollführt, sichtlich positiv geladen, im Anzug seinen schon zum Markenzeichen gewordenen Ausdruckstanz, kommuniziert mit dem Publikum und übermittelt in kokettierenden Gesten, dass dieses durchaus ab und zu lauter sein könnte.

Derweil besteigt Bassist Mike Mills die Monitorbox, steuert seine nicht selten essentiellen Backgroundvocals bei oder bedient im Stück Electrolite das Piano, während Peter Buck an der Gitarre sich im Hintergrund hält. Losing My Religion wird wie beiläufig, wohl um dessen Durchschlagskraft wissend, bei vollem Erfolg integriert, den Abschluss macht Man on the Moon. So meistern R.E.M. den Abend souverän, wenngleich die Setlist für ein ganz großes Publikum etwas spezialisiert ausgefallen sein mag und bei einem dermaßen umfangreichen Songkatalog, wohl immer jemand ein höchstpersönliches Lieblingsstück vermissen wird. (Philipp L'Heritier / DER STANDARD, Print-Ausgabe, 16./17.8.2008)