Heidelberg - Typische Verhaltensmuster einer Kokain-Sucht sind die andauernde Suche nach der Droge und Rückfälle bei zeitweiser Abstinenz. Dafür sind durch das Kokain ausgelöste molekulare Veränderungen an den Nervenkontaktstellen im Belohnungssystem des Gehirns direkt verantwortlich. Das wurde jetzt von einem Team von Forschern des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit, des Deutschen Krebsforschungszentrums sowie der Universität Genf in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift "Neuron" publiziert.

Veränderungen im Gehirn

Sucht hinterlässt nachweisbare Spuren im Gehirn: In Bereichen des Zentralnervensystems, die den Botenstoff Dopamin produzieren, bewirkt zum Beispiel Kokain molekulare Umbauprozesse an den Synapsen, den Kontaktstellen zwischen zwei Nervenzellen. Als Reaktion auf die Droge werden in bestimmten Rezeptoren komplexe Protein-Untereinheiten ausgetauscht.

Das hat zur Folge, dass die veränderte Synapse verstärkt Nervensignale übertragen kann - ein Phänomen, das als "drogenvermittelte synaptische Plastizität" in die Literatur einging. Forscher vermuten seit vielen Jahren, dass drogenvermittelte synaptische Plastizität bei der Suchtentstehung eine entscheidende Rolle spielt. Bisher fehlten hierzu jedoch experimentelle Nachweise.

Ausgeschaltet

Wissenschaftern um Günther Schütz im Deutschen Krebsforschungszentrum (Heidelberg) gelang es nun, bei Mäusen selektiv in dopaminproduzierenden Nervenzellen genau diejenigen Eiweiß-Komponenten genetisch auszuschalten, die unter dem Einfluss von Kokain in die Rezeptor-Komplexe eingebaut werden. Gemeinsam mit dem Team von Rainer Spanagel im Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim sowie mit der Arbeitsgruppe von Christian Lüscher von der Universität Genf untersuchten die Heidelberger Forscher die Veränderungen in Physiologie und Verhalten der genveränderten Tiere.

Die Wissenschafter unterzogen die Tiere standardisierten Tests, um Suchtverhalten zu messen. Auf den ersten Blick zeigten sowohl die genveränderten als auch Kontrolltiere das übliche Verhalten unter dem Einfluss von Kokain: Zu verstärkter Beweglichkeit angetrieben, legten sie deutlich längere Laufstrecken zurück und suchten bevorzugt solche Plätze auf, auf die sie durch regelmäßige Drogengaben konditioniert worden waren.

Dauerhaftes Suchtverhalten

Finden normale Mäuse an den gewohnten Plätzen über einen längeren Zeitraum keine Drogen, so klingt ihr Suchtverhalten langsam ab, und ihre Vorliebe für die Kokain-assoziierten Orte lässt nach. Dies gilt jedoch nicht für die Tiere, deren Synapsen-Rezeptor-Untereinheit GluR1 ausgeschaltet ist: Diese Mäuse suchen unverändert die Stellen auf, an denen sie die Droge vermuten - ihr Suchtverhalten hält also dauerhaft an.

Mäuse dagegen, deren NR1-Protein ausgeschaltet wurde, überraschten mit einer anderen Auffälligkeit: Wird Kokain-entwöhnten Kontrolltieren nach einiger Zeit die Substanz erneut verabreicht, so flackern das Suchtverhalten und die Suche nach der Droge wieder auf. Im Gegensatz dazu erwiesen sich die NR1-defizienten Artgenossen als resistent gegenüber einem Rückfall in die Sucht.

Proteine bedingen Verhaltensmuster

"Es ist faszinierend zu beobachten, wie einzelne Proteine suchttypische Verhaltensmuster bedingen können", sagte Günther Schütz. Co-Autor Rainer Spanagel ergänzte: "Darüber hinaus eröffnen unsere Ergebnisse völlig neue Perspektiven, um die Sucht zu behandeln: So könnte eine Blockade des NR1-Rezeptors vor einem Rückfall in die Abhängigkeit schützen. Eine selektive Aktivierung von GluR1 würde sogar dazu beitragen, die Sucht zu 'löschen'."

Betont wurde, dass es sich hier um die chemischen Grundlagen von Kokain-Sucht handelt, die psychologischen Begleiteffekte aber bei den Mäusen keine Rolle spielten.
(APA/red)