Zur Person
Die Physikerin Anja Schlicht (40) leitet das GOCE-Projektbüro Deutschland in München.

Foto: Privat

STANDARD: Ursprünglich war der Start der GOCE-Mission für 2006 geplant. Dass der Satellit erst heuer im September ins All befördert wird, hat auch mit den eingesetzten technischen Geräten zu tun - um welche handelt es sich?

Schlicht: Im Einsatz sind ein Schweregradiometer und GPS, ein Ionentriebwerk, "Magnetic Torquers" zur Lageregelung und Sternsensoren zur Lagemessung. Die größte Herausforderung war der Bau des Schweregradiometers. Es besteht aus sechs Beschleunigungssensoren, die immer paarweise auf den x-, y- und z-Achsen des Gradiometers sitzen. Diese Beschleunigungssensoren bestehen aus einer sehr massiven Probemasse und aus einem Käfig, der mit Goldelektroden bedampft ist. Die Probemasse wird durch die Regelung der elektrostatischen Kraft, welche die Schwerkraft permanent kompensiert, im schwebenden Zustand gehalten. Auf diese Weise können Beschleunigungen, die auf die Probemasse wirken, bestimmt werden. Sitzen nun zwei Beschleunigungsmesser im festen Abstand zueinander und befindet sich der Schwerpunkt des Satelliten genau in der Mitte, so kann man aus der Differenz der beiden Beschleunigungen auf die Änderung des Erdschwerefeldes in dieser Richtung schließen. Dies entspricht dem Gradienten der Gravitationskraft.

STANDARD: Welche Probleme können dabei auftreten?

Schlicht: Die erste Schwierigkeit beim Bau der Beschleunigungssensoren besteht in der Konstruktion: Die Probemasse muss im wahrsten Sinn des Wortes "haargenau" in den Käfig passen. Problematisch ist auch die Kontaktierung der Probemasse: Ein nur 5 µm dünner Golddraht macht den elektrischen Kontakt. Diese filigrane Konstruktion muss aber die extremen Beschleunigungen, die beim Start des Satelliten auf sie wirken, aushalten. Das ist eine große Herausforderung, und nicht wenige der gebauten Sensoren mussten deshalb aussortiert werden.

STANDARD: Die GOCE-Messgeräte sind viel empfindlicher als jene von bisherigen Schwerefeldmissionen. Was bewirkt diese extreme Empfindlichkeit?

Schlicht: Die Empfindlichkeit der Sensoren bedingt extrem hohe Anforderungen an den Bau des ganzen Satelliten: Dies bezieht sich sowohl auf die thermische als auch auf die mechanische Stabilität - hier darf nichts "scheppern" oder "wackeln". GOCE wird zudem auf einer sehr niedrigen Umlaufbahn um die Erde kreisen. Damit der Satellit diese Bahn halten kann, muss er die Reibungskräfte, die seinen Flug abbremsen, kompensieren. Dies darf wegen der Empfindlichkeit der Beschleunigungssensoren nicht ruckartig geschehen. Erstmals in der zivilen Raumfahrt ist deshalb ein kontinuierlich funktionierendes Ionentriebwerk an Bord eines Satelliten.

(DER STANDARD, Printausgabe, 13.8.2008)