Brüssel - Mehr Aufklärung für Verdächtige: Einen "letter of rights" - also ein einheitliches Informationsblatt über die Rechte im Strafverfahren - möchte die EU-Kommission künftig allen eines Verbrechens Beschuldigten in Europa aushändigen lassen. Dieser Vorschlag ist Teil eines Konsultationspapiers, das der zuständige EU-Kommissar António Vitorino nun in Brüssel vorgestellt hat.

Das "Grünbuch über Verfahrensgarantien in Strafverfahren" formuliert 35 konkrete Fragen an die Mitgliedsstaaten - aber auch an Rechtsanwälte: Ziel soll eine einheitlichere Gestaltung des Strafverfahrens von der ersten Polizeivernehmung bis hin zum Gerichtsurteil sein.

Neue Rechte würde das Kommissionspapier allerdings kaum bringen: Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg hat die Verfahrensgarantien für Beschuldigte bereits weitgehend bestimmt. Dazu gehört unter anderem das Recht, bei Vernehmungen einen Dolmetscher beiziehen zu können, und das Recht auf einen Anwalt. Einen Anspruch auf konsularischen Beistand aus der Heimat gewährt das Völkerrecht sogar weltweit.

Bestätigung

Erst vergangene Woche bestätigte der Europäische Gerichtshof in Luxemburg zudem etwas, das selbstverständlich erscheint - es rechtlich aber bisher nicht war: Wer in einem EU-Staat wegen einer Straftat verurteilt oder freigesprochen wurde, kann in keinem anderen EU-Staat noch einmal belangt werden. Unabhängig von dem "Grünbuch" arbeitet die EU-Kommission derzeit an EU-Standards für die Freilassung ge-gen Kaution sowie für Beweismittel und Urteile in Abwesenheit des Angeklagten.

Das noch immer mangelnde Vertrauen zwischen den Justizbehörden ist für Vitorino ein Hauptmotiv: Ein EU-Rechtsraum lasse sich nur schaffen, so meint er, wenn die Richter an die rechtsstaatliche Qualität der Verfahren im Ausland glauben. (Jörg Wojahn aus Brüssel, DER STANDARD Printausgabe 21.2.2003)