Derzeit spielt sich im Deutschen Bundestag ein Schauspiel der besonderen Art ab. Auf Drängen der Unionsparteien CDU/CSU wurde der so genannte Untersuchungsausschuss "Wahlbetrug" eingerichtet. Allein die Bezeichnung ist schon ein Etikettenschwindel, weil die Union keine Manipulation des Wahlvorgangs beklagt, sondern geschönte Bilanzen und nicht gehaltene Versprechungen der rot-grünen Koalition. Als am Donnerstag Finanzminister Hans Eichel auftrat, wurde die Sinnlosigkeit dieses Gremiums eindrucksvoll bestätigt: Es wurde darüber diskutiert, wer wann was gesagt und wie gemeint hat. Aber einen Beweis für eine Lüge Eichels gab es nicht. Dennoch forderte die Opposition reflexartig Eichels Rücktritt.

Dass SPD und Grüne vor der Wahl nicht das wahre Ausmaß der Misere dargestellt haben, ist inzwischen hinlänglich bekannt. Die SPD hat bei den jüngsten Landtagswahlen dafür auch einen Denkzettel von den Wählern verpasst bekommen. Bei der Berechnung des Staatsdefizits werden aber auch die Länderhaushalte einbezogen. Und da die Bundesländer mehrheitlich von der CDU/CDU regiert werden, wusste die größte Oppositionspartei über die desaströse Situation der Staatsfinanzen genauso gut Bescheid. Außerdem haben CDU und CSU im Wahlkampf selbst verschwiegen, wie sie ihre Wahlversprechen, die sich auf immerhin 70 Milliarden Euro summierten, finanzieren wollten. Auch Helmut Kohl hat Wahlversprechen von den "blühenden Landschaften" in Ostdeutschland nicht eingelöst.

Der Ausschuss ergeht sich jetzt in sprachwissenschaftlichen Betrachtungen, was nun Lüge, Betrug oder vorsätzliches Vorenthalten von Informationen ist. Einen strafrechtlich relevanten Tatbestand der Wählertäuschung gibt es ohnehin nicht.

Daher wird am Ende herauskommen, was ohnehin alle wissen: dass es Politiker in Wahlkampfzeiten mit der Wahrheit nicht so genau nehmen.(DER STANDARD, Printausgabe, 21.2.2003)